Mein lieber mein Vater

18-32

Gera, 29. September 1918.

Lieber Georg,

ein Sonntag, der mit so herrlichem Sonnenschein begonnen hat, geht mit grauem, trübem Regen zu Ende. Darnach ist eigentlich auch meine Stimmung, am morgen so heiter – froh, und jetzt am Spätnachmittag auch ein wenig grau in grau. Eben habe ich mein Buch, ein wunderschönes Werk von Winther mit herrlichen Mattdrucken „Körperbildung als Kunst und Pflicht“ beiseite gelegt und spürte eigentlich Lust, mit Dir noch ein wenig zu plaudern, solange dies die Tageshelle noch gestattet.

Erstmal habe ich Deinen Brief erhalten, samt Deinen Geburtstagswünschen und den Scheinen, die sich inzwischen in ein Buch der Rose „Der König“, Friedrich der Große in seinen Briefen und Berichten, sowie in Briefen, Anekdoten und Berichten seiner Zeit, verwandelt haben. Ich habe das Buch mit dem größten Interesse gelesen und mir ist daraus solch ein einziger Mensch entgegengetreten, so unendlich reich, so umfassend, so genial, und dabei ganz Mensch und Freund, daß ich nun jedem raten möchte, sich an diesen Briefen zu bereichern. Also, vielen Dank für die Mittel, die Du mir dafür in die Hand gegeben hast.

Im übrigen war ich froh, endlich einmal persönlich von Deinem Ergehen zu erfahren. Ich wünsche Dir weiter Mut und Kraft, Dich immer mehr einzuarbeiten und Freude und Befriedigung in Deiner Tätigkeit zu finden. Es ist etwas, was ich erst jetzt zu erkennen anfange: daß in der Ausübung des Berufes Freude und Kraft liegt. Ich habe jetzt oft so schrecklich Lust, zu schaffen, zu arbeiten und – mir fehlt das Feld einer Tätigkeit. Möchte es mir doch nun endlich gelingen, einen Platz zu finden, der ein Hineinwachsen und Erfüllen einer rechten Tätigkeit verspricht! Ich hungere manchmal wirklich darnach. Und ich glaube wohl, daß, wenn ich jetzt aus eigenem Gefühl heraus ein freudiges Wollen auf meine Arbeit richte, ich auch etwas zu erreichen und zu leisten imstande bin. Ich muß aber einen selbständigen Posten haben, und vielleicht kann ich den nur in einer kleineren im Anfang begriffenen Firma erreichen, wo ich mit hineinwachse in die größeren Anforderungen, denn mir fehlt eben doch die gründliche kaufmännische Durchbildung. Eines weiß ich schon heute: daß mich Korrespondenz, so einseitig, wie ich sie in einem großen Betriebe immer nur führen kann, d.h., daß sie immer erst noch durch andere Hände geht, nicht befriedigt und daß ich mich mehr dem ganzen zuwenden muß.

Ob mir das gerade heute, wo alle Betriebe eigentlich Kriegsbetriebe sind, und gerade in Hamburg, wohin ich doch nun einmal möchte, zu finden gelingen wird, daran zweifle ich ja fast ein wenig. Aber das muß eben versucht werden. Hier bleibe ich nicht länger, als beabsichtigt: Am 15. Oktober wird es sich entscheiden, wann ich gehen kann. Sonst wird es mir nicht ganz leicht werden, von hier fortzugehen. Ich habe mich gerade in den letzten Wochen näher angeschlossen und es würden sich, falls ich länger bliebe, die verschiedensten Möglichkeiten für ein reicheres Leben bieten. Ich werde jetzt nur noch wenig davon genießen können und alles löst schon der Gedanke auf: es ist ja nur noch für so kurze Zeit. Das ist nun die 3 Jahre der Unstern meines fahrenden Lebens gewesen: Eingelebt – weitergewandert. Darum jetzt in mir das heftige Verlangen, einen dauernden Kreis zu gründen, heimisch zu werden. Nun, ich habe ja auch mit Dir über diese Sachen gesprochen. – –

Gestern hatten wir einen herrlichen ungebundenen – frohen Nachmittag in Scheubengrobsdorf. Wie gern bin ich jetzt dort Gast in der lieben Spielgemeinde, in all dieser Freiheit, Scherz und Spiel! Spät abends gegen ½ 12 Uhr kamen wir erst durch den dunkelsten Geraer Stadtwald heim. Herrlich sind im … diese Abendwanderungen, wir sind immer nur vier, die den weiteren Weg durch den Wald wählen, während die meisten die glatte Landstraße vorziehen, bald bei Mondschein, bei tiefster Dunkelheit im leise fallenden und auch heftigen strömenden Regen, bald warm und lind, bald kalt und klar. Zuletzt taucht dann tief unten das Städtlein mit seinen unzähligen Lichteraugen durch die Bäume auf und still wandern wir am majestätisch vor uns aufsteigenden Schloß vorbei in die Stadt hinein.

Am Sonntag sind wir dann alle zu hause, wirtschaften, nähen, lesen, schreiben Briefe, hin u. wieder bin ich auch abends bei Noacks, was dann jedes mal u. gerade am Sonntag eine besondere Feier ist, oder ich bin auch mit einer Kollegin zusammen, wie ich jetzt doch eine und die andere feine und sympathische kennen gelernt habe. Auch ich habe jetzt manchmal des abends Besuch, wo es bei mir innen sehr gemütlich ist, nie fehlen die Blumen auf dem Tisch und ein paar Äpfel oder irgendwas ergattere ich auch schon noch. – Am nächsten Sonntag fahre ich voraussichtlich Oberlungwitz, wo ich lange nicht war. Hedi war zu meinem Geburtstag da und wir hatten eigentlich einen recht schönen Tag, vor allem da sie schon Sonnabend kam u. erst Montag um 10 Uhr zurückfuhr. Am Mittag kam die Sonne strahlend heraus, wir wanderten ein wenig und Hedi erfreute sich an dem schönen Fleckchen Erde, das ich ihr zeigen konnte. Auch hatten wir gut und reichlich zu essen, da sowohl von zu hause, als auch von Liebeknechts u. Bredenfelde Eßbares eingetroffen war. –

Mit Geld bin ich vielleicht noch knapper als Du, bekomme ja auch nur 173.– Mark. Ich bin jetzt sogar gezwungen, meine mühsam ersparte Kriegsanleihe (100.) zu verkaufen, da ich einfach nicht ein noch aus weiß. Scheußlich, die Geldkalamitäten. – Daß Du mit Sprachen so fleißig vorwärts kommst, interessiert mich wirklich. Nach welcher Anleitung gehst Du eigentlich? Ob ich wohl noch die Energie haben werde, Spanisch zu lernen, wenigstens so, daß ich es lesen u. verstehen kann? Ich möchte schon, und dann sehe ich doch keinen rechten Sinn darin, und nur zur Freude, nein, dann weiß ich etwas Sympathischere anzufangen. Nimm Dich nur ja recht in acht, daß Dir die Nerven nicht versagen. Nutze nur ja alle Zeit zum wandern und völligen Ausspannen aus. Das soll sehr gut sein, sich zu erholen: 10 Minuten lang ausgestreckt hinlegen, die Augen geschlossen u. den Denkapparat in dieser Zeit völlig ausschalten. Zuerst kostet das Ausschalten der Gedanken etwas Energie, aber man soll sich wunderbar in kurzer Zeit erholen. Evtl. kannst Du es ja mal versuchen. Und jetzt zum Schluß wiederhole ich meine Wünsche von erst und bin mit herzlichen Grüße

Deine Kläre.

De Smitstr. 5 II

Hagenow, 11.2.19

Mein lieber Georg,

herzlichste Wünsche zu Deinem Geburtstag, vor allem, daß es Dir gelingen möge, eine feste Anstellung in dieser schweren Zeit zu finden und daß Du gesundheitlich durchhalten mögest. Ich denke jetzt besonders viel an Dich wegen Deines Stellenwechsels, da es mir doch nicht viel anders geht und ich weiß, wie mühsam und beunruhigend dieses Umhören und Bewerben ist. Hoffentlich, hoffentlich gelingt es Dir, einigermaßen Deinen Wünschen entsprechend angestellt zu werden. Was aus mir wird, ist mir bis heute noch böhmisch. Der kaufm. Verband kann scheinbar wenig für mich erreichen, in Hamburg völlig ausgeschlossen, und sonst habe ich eigentlich noch nichts unternommen. Ich hatte beim Hamburger Fremdenblatt angefragt, da soll mein Inserat aber an 10.– Mark kosten und ich fürchte, es hat nicht einmal Zweck. Was für eine Zeitung würdest Du mir wohl für Norddeutschland raten zum Nachlesen und evtl. inserieren? Jetzt im Februar bin ich hier ja tadellos zu brauchen, spiele famos Mädchen, was wirklich sehr gut geht. Aber dann möchte ich doch fort und will ganz ernstlich sehen, etwas zu bekommen, sei es, was es sei, bei Jude oder Christ. Man kommt sonst zu sehr raus und gewöhnt sich auch gut wieder an die regelrechte Arbeit. Kennst Du nicht ein gutes Blatt für Hannover? Oder Holstein?

Hoffentlich kommt das Riesenpaket an, von mir ist die Zigarettenspitze. Was machen eigentlich Deine Fotografien? Bekommen wir sie nicht nächstens, oder hast Du uns ganz vergessen? Gestern hatten wir großen Besuch, na Mutti wird wohl davon schreiben. Jedenfalls klappte alles ganz großartig, trotzdem wir ohne Mädchen waren. Sonst nicht viel Neues. Trudi ist jetzt völlig darüber hinaus K. R. zu nehmen, sie geht jetzt erst im Sommer in den Harz zur Stärkung und dann in eine hauswirtschaftliche Schule, voraussichtlich nach Weimar, wo sie tüchtig lernen will und dann später als Hausbeamtin gehen kann. Es ist denn auch gut so, daß sie endlich fest entschlossen ist und ein Ziel vor sich hat. Nun, verlebe Deinen Geburtstag leidlich, feiere nicht so sehr, armer Kerl, hast gewiß genug ausgestanden in diesen kalten Tagen.

Viele herzliche Grüße

von Deinem

Klärchen.

Hamburg, 9. November 1919.

Mein lieber Georg,

viel Zeit habe ich nicht, nur ein kleines halbes Stündchen, das ich aber schleunigst benutzen will, um Dir für Deinen lieben Brief zu danken und Dir ein wenig zu erzählen.

Ja, ich habe also wirklich noch meinen Schatz gefunden und zwar solch einen, wie ich ihn mir gewünscht und erdacht habe. Er heißt Franz, Franz Bangis, stammt aus Schlesien, wo sein Vater Beamter auf einem der Rothschildschen Güter bei Oderberg ist. Mein geliebter Franz stammt aus einer katholischen Familie, steht selber aber auf gleich freiem Standpunkt wie ich. Vater u. Mutter leben beide, dann ist noch eine verheiratete Schwester da und ein Bruder, 28 Jahre, Landwirt, u. eine Schwester, 30 Jahre, Lehrerin. Die beiden letzten sollen ganz famose Menschen sein u. ich werde sie Ostern kennen lernen wo sie nach Hamburg kommen. Franz ist 33 Jahre, sieht sehr fein u. aristokratisch aus, ist hübsch groß u. schlank. Wir haben uns ganz von Herzen lieb und nur aus diesem Grunde können u. wollen wir unser Leben zusammen leben. Sonst sieht es ja oekonomisch fast wie Wahnsinn aus. Wir haben beide kein Geld, und das Leben ist heute so teuer. Er ist Kaufmann, Freund von Max Boldt u. war bisher in meiner Firma, wo er zum 15. 06. fortgeht, um einen selbständigen Posten in einer Oelfirma anzutreten.  An Gehalt bekommt er dort 500. – Mk; wann wir heiraten können, ist noch unsicher, hoffentlich steigt das Gehalt bald, vor allem, wenn er sagt, daß er heiraten will. Nun fragt sich es erst noch, wie die Stellung in der betr. Firma ausfällt. Darnach richtet sich die Veröffentlichung unserer Verlobung, Weihnachten wird das wohl kaum der Fall sein können, weil die Zeit zu kurz ist, aber dann bald oder Ostern. Ganz einfach ist die Sache nicht. Aber wir sind beide anspruchslos und es wird schon werden. Mein Schatz ist ja klug und vor allem von Herzen lieb. Er ist ziemlich kompliziert und hat vor allem ein so warmes tiefes Verständnis für die Seele einer Frau, daß ich ganz und völlig glücklich bin im Besitz seiner Liebe und seines Vertrauens.

Im Sommer werde ich nun zu den Seinen nach Schlesien fahren u. dann wollen wir eigentlich recht bald heiraten. Voraussichtlich gehe ich in wenigen Monaten, vielleicht Februar, März hier fort, um dann alles andere zu besorgen, kochen, schneidern etc. lernen. Es kann aber auch sein, daß ich schon Weihnachten ganz zu Hause bleibe, es kommt eben alles auf den Erfolg an, den mein Schatz hat. Vielleicht werde ich auch durch [die] Demobilmachungskommission gezwungen, schon zum 1. Januar fortzugehen, was mir eigentlich sehr lieb wäre, nur möchte mein Franz mich so ungern den ganzen Winter hier entbehren. Meine nächsten Bekannten wissen hier alle über die „heimliche“ Verlobung bescheid, so auch meine gute Frau Libbertz, bei welcher ich wohne, sodaß er hier zu uns kommen darf. Heute am schrecklich stürmischen Schneesonntag bin ich bei Max zum Tee geladen, wo auch mein Franzl wohnt; wir haben auch sonst sehr viel Schönes zusammen, leider ist es so gräßliches Wetter jetzt, der Sommer wäre tausendmal lieber. Aber es hilft eben nichts.

So, und jetzt muß ich schließen. Was ist aus euerm Fest geworden?

Ich fahre sicher in 8 oder 14 Tagen nach Hause, um mal allen zu erzählen, weil man das garnicht so schreiben kann. 1000 Grüße Dein Klärchen

Hagenow, 11. Februar 1920.

Lieber Georg,

zu Deinem Geburtstage meine herzlichsten Wünsche! Es ist ja so mancherlei wieder für Dich zu wünschen. Erstmal, daß Du nach dieser schrecklichen Grippe wieder ordentlich gesund wirst! Armer Junge! Ja, das ist furchtbar, wenn einen so etwas ankommt, allein und krank und frieren! Wir können Dir das so ganz nachempfinden und wünschen Dir nur, daß Du Dich wieder gesund fühlen mögest. Und dann das andere, Deine Arbeit. Wenn da doch erst Schritte Erfolg haben möchten! Man kann Dir so garnicht helfen. Alles mußt Du allein machen. Wenn Du nur erst wüßtest, ob und was aus Dir wird! Also, die herzlichsten Wünsche für die Zukunft, daß Du auch einmal zur Ruhe kommst. – – Wir wußten sonst nichts und hoffen, daß Du Dich über unsere Taschentücher freuen wirst. – – –

Meine Operationsgeschichten sind gut verlaufen. Ich bin seit Montag wieder zu Hause, nachdem Trudi, Franz und ich noch ein paar schöne Tage in Hamburg zusammen hatten. Am 22. Febr. wollen wir nun die Verlobung feiern. Ist es nicht möglich, daß Du rüberkommst? Hedi kann ja auch nicht dabei sein, aber wir können die Sache nicht länger hinausschieben schon wegen Besorgungen. Ganz Hagenow weiß es im übrigen ja doch schon. Also, sieh mal zu, ob es sich machen läßt, es wäre doch nett, wenn Du Franz jetzt auch kennen lernen würdest. Sonst müßtest Du eben bis Ostern warten. Dann würdet ihr doch wohl beide hier sein. Ich habe so viel zu tun und zu schreiben, daß ich heute schon aufhören muß. Nochmal alles Gute und viele Grüße

Deine Kläre.

Lieber Georg, Ich will doch nicht einen extra Bogen nehmen, denn voll würde er doch nicht werden. Du weißt ja auch so, was ich Dir alles für’s neue Jahr wünsche! vor allem Gesundheit u. Befriedigung in Deinem Beruf. – Zu schade, wenn Du am 22. nicht kommen könntest. Dann bin ich so ganz allein u. es ist gar keine Feststimmung. Hoffentlich kommt Klimpelchen. Franz ist zu nett. Es war die Tage in Hbg. reizend mit den beiden. Sie sind ziemlich verliebt, aber doch sehr nett. Ich freue mich so, daß es Kläre gut geht, hoffentlich bleibt es so. – Bist Du allein an Deinem Geburtstag? oder ist Glärfeld bei Dir. – Heute war ich zur Verlobungsfeier bei Anna Plog mit einem Aktuar. Na, ich bin froh, daß ich den nicht heiraten brauch – aber der Geschmack ist verschieden. Der Kuchen war aber gut. Nächstens folgt Frieda.

viel tausend Grüße

Deine Trude.

Altona, den 17. II. 1920.

Lieber Herr Sambach,

am kommenden Sonntag soll in Hagenow in Ihrem Elternhaus Kläres Verlobung festlich begangen und mit diesem Tage veröffentlicht werden. Da ist es höchste Zeit, daß ich den schon lange gefaßten Entschluß, Ihnen einmal zu schreiben, endlich zur Ausführung bringe.

Wie ich von Kläre weiß, werden Sie wahrscheinlich an unserem Feste nicht teilnehmen können. Ich muß sagen, daß es mir aufrichtig leid tut, Sie an diesem Tage nicht kennen lernen zu können und daß mich die heutigen Verhältnisse, die Sie am Reisen verhindern, mich zwingen, den Brief als Ersatz für das „Sichkennenlernen” anzunehmen.

Das Osterfest mit seinen vielen Feiertagen wird uns sicher Gelegenheit geben, das Versäumte nachzuholen. Wenn Sie bis dahin bei Ihrer vielen Arbeit soweit Zeit erübrigen können, ab und zu an mich zu schreiben, so wird mich das sehr freuen und zu Ostern werden wir dann schon näher bekannt sein, wenn wir uns auch nur vom Bilde kennen. – Ich weiß, wie sehr Kläre an Ihnen hängt und so ist es nichts als natürlich, wenn ich das Verlangen habe, Ihnen für die Zukunft als Kläres Mann nicht nur der angeheiratete Schwager, sondern mehr als das zu sein. –

Von Ihrer schweren Grippe sind Sie nun wohl genesen und werden die seit einiger Zeit warmen Tagen sicher ebenso freudig begrüßt haben wie ich, der den Winter in ungeheiztem Zimmer sehr schätzen zu lernen Gelegenheit hatte. Erst vor einigen Tagen erhielt ich von meinem Schwager, der mit der Förderung der köstlichen Steine in engster Berührung steht, eine Sendung richtiggehender Kohle. Es gibt wohl bald nichts Unangenehmeres als das hier im Norden so häufige naßkalte Wetter ohne Heizen zu können. Na, nun ist der Vorfrühling nicht mehr fern und die Winternot wieder einmal so gut wie überstanden. –

Nehmen Sie recht herzliche Grüße

von Ihrem zukünftigen Schwager

Franz.

Hamburg, den 11./2.1921 Berliner Tor 22

Mein lieber Schwager,

zwar bin wie einst ich mager,

doch tut das nichts zur Sache,

daß ich ‘ne Freud Dir mache,

und daß zum Wiegenfeste

zunächst ich wünsch das Beste.

Blüh’, wachse und gedeihe

und lang sei noch die Reise

der Erdenjahre Dein!

Auch sollst Du immer fröhlich ein!

Nicht eben üppig ist die Gabe,

die Dir zum Fest ich habe,

zu überreichen ausgedacht,

weil ich’s zu Anderm nicht

gebracht.

Nimm diese armen oder

reichen

Tschechoslowak’schen Postwertzeichen

Verleib‘ sie Deiner Sammlung ein

und laß sie Dir Erinnerung sein

An Deinen Schwager,

der so hager.

Mein lieber Georg, ob dieser gereimte Herzensgruß dazu beitragen wird, Deine Geburtstagsstimmung zu fördern? Ich will optimistisch sein und annehmen, ja! Gemeint war es so. Laß Dir herzlich die Hand drücken!

Dein Schwager Franz

Hamburg, 8. November 1921.

Lieber Georg,

Du denkst gewiß, ich existiere garnicht mehr, da ich Dir noch nicht einmal für Deinen Geburtstagsbrief mit seinen lieben Wünschen und die Beisteuerung zu einem Puddinglöffel gedankt habe. Also nimm noch heute meinen ebenso aufrichtigen Dank wie ich ihn an meinen Geburtstag empfand und bedenke, daß die Zeit so eilend geht und man zum Schreiben deshalb so selten kommt.

Zu meiner großen Freude hörte ich durch Mutti, daß Du endlich eine Aufbesserung Deines Gehaltes bekommen hast, dazu eine Extra-Belohnung für alle Deine Mühen. Ich kann Deine Freude darüber so recht begreifen, wenn Du nun in der Lage warst, Dir endlich den so notwendigen guten Anzug zu kaufen. Ich wünschte nur, wir hätten auch einmal 2 000.– Mk extra, da auch Franz sich einen Anzug machen lassen muß. Seine ganze Garderobe ist schlecht, er muß einen neuen Anzug haben, Kostenpunkt 1775 Mk; der Anzug soll im Dezember fertig und auch bezahlt sein. Doch wissen wir heute noch nicht, wie wir das machen sollen, nachdem wir erst 250 Mk anzahlen konnten. Das Gehalt geht bei den täglich wachsenden Preisen für die Lebensbedürfnisse fast ganz drauf. So hat man seine Sorgen.

Vielleicht hast Du schon durch Mutti gehört, daß ich nun auch wieder in den kaufm. Beruf gehen will, um mitzuverdienen. Das ist noch die einzige Rettung und für den Winter ist es ja auch ganz gut und passend, wenn wir bis zum Abend die Feuerung sparen. Wir wollten dann zusammen nach Geschäftsschluß um ½ 5 Uhr essen an irgend einem Mittagstisch und es uns dann zu Hause recht gemütlich machen. Zuerst habe ich mich mit Händen und Füßen gegen diesen Plan, den ich übrigens selbst entworfen habe, gewehrt, nun, wo es mir immer vorteilhafter und wünschenswerter erscheint, will es mir durchaus nicht gelingen, einen entsprechenden Posten zu bekommen. Ich habe schon soviel vergebliche Mühen gehabt, daß ich oft ganz niedergeschlagen bin. Die meisten Firmen wollen lieber ein junges Mädchen haben u. keine verheiratete Frau, weil solche nach den Bestimmungen des Demobilmachungsausschusses nur unter Bedingungen arbeiten dürfen, die für uns aller Wahrscheinlichkeit nach nicht zutreffen.

Und zweitens bin ich 2 Jahre aus der Übung, das wird von den größeren Firmen, die eine Stenotypistin oder Korrespondentin suchen, als wichtigsten Hinderungsgrund angesehen. So wird es mir sehr schwer gemacht, eine Stellung zu finden, wenn dann auch bei vielen Geschäften noch die geteilte Arbeitszeit mit 6 oder 7 Uhr Schluß in Frage kommt. Ich wünschte nur, daß ich endlich etwas bekäme, dieses ewige Suchen und das Unbestimmte meiner Lage macht mich ganz unruhig und zum Teil auch unlustig. So hat wirklich jeder von uns sein Päckchen zu tragen.

Wie gefällt es Dir in Deiner neuen Wohnung? Gewiß hast Du es dort nicht so gut wie bei Frau Leinweber? Wann wird denn Trudi Dich besuchen? Sie schrieb nur ganz kurz, daß sie sich ein Kleid gekauft hätte, da sie doch nach Berlin wollte! –

Wie geht es Deinem Herzen? Ist es noch bei Dir? Oder hast Du es schon wieder an ein hübsches Mägdelein verloren? Hast Du etwas nette Geselligkeit? Wir leben noch immer ziemlich allein, hin und wieder sehen wir Max Boldt mit seiner Frau oder die jungen Wiedorns in Blankenese. Sonst kommt Lisbeth Brettner manchmal zu und, das ist stets recht gemütlich, oder Ännchen Boldt, die jetzt auch hier in Hamburg im Haushalt tätig ist, oder Tante Weil, die Franz immer noch nicht ausstehen kann. Sie hat sich ja auch wirklich nicht zu ihrem Vorteil verändert. Theater oder Konzerte können wir uns nur sehr selten erlauben, so sitzen wir die meisten Abende gemütlich zu hause, wo es auch stets am schönsten ist.

Schreibe bald wieder und laß Dich herzlich grüßen von Deiner

Kläre.

Hamburg, 8/11. 21

Mein lieber Georg,

die Gelegenheit, Dir einige Zeilen zukommen zu lassen, will ich nicht vorübergehen lassen, ohne Dir zu dem Fortschritt in Bezug auf den erstarkten nervus rerum meinen Glückwunsch ausgesprochen zu haben. Es ist doch sehr gut, wenn man wieder einen solchen Abschnitt hinter sich hat und ein neues Ziel vor Augen sieht. – Leider ist die Zeit so ganz danach angetan die Freude an einer solchen Gewißheit nicht aufkommen zu lassen, denn wenn es jemals in unserem Neudeutschland dreckig aussah dann ist es heute so. Dieser Mathematikprofessor der bei Euch in Berlin ist ein komischer Wirth, Wicht wäre besser! Er scheint das Rechnen mit imaginären Größen zu seinem Lieblingsstudium auserkoren zu haben und kann nicht verstehen, daß andere Leute dieser Wissenschaft nichts abgewinnen können. Helfferichs gestrige Rede ist famos, schade daß dieser Mann nicht eine Figur und eine Stimme wie Bismarck hat, dann wäre er der kommende Mann. Er piepst ein bischen leise, das spricht zu sehr gegen ihn – Schreib mal, wenn Du Zeit erübrigen kannst. –

Herzlichen Gruß Dein Schwager

Franz

Hamburg, d. 12. Februar 1922.

Lieber Georg,

wie geht es Dir? Man hört nichts mehr voneinander und weiß nicht, ob der andere krank oder gesund, froh oder traurig ist. Wollen wir von Dir hoffen, daß Du trotz all der Kälte und der schrecklichen Verhältnisse in unserem Vaterlande, speziell Berlin, den guten Mut nicht verloren hast, und vor allem gesund bist. Falls dem so ist, so wünsche ich Dir für Dein neues Lebensjahr das gleiche, Mut und Gesundheit, um mit diesem Leben fertig zu werden, das ja heutzutage wirklich nicht leicht ist bei all den mißlichen Verhältnissen. Wie seid ihr denn durch diese Zeit gekommen? Einmal wirst Du mir doch auch schreiben, nicht wahr? Zum Zeichen, daß wir Deiner gedacht, schicken wir den 3/4 Kuchen, leider darf das das Paket nicht länger sein, sodaß ich ein Stück abschneiden mußte. Zu schenken wissen wir Dir nichts bei unserem knappen Geld, da habe ich Dir denn von meinen Vorräten den Honigkuchen gebacken, der Dich gewiß erfreuen wird. Ein Kostverächter bist Du ja nicht. Wie ich sehe, ist er gut geraten, laß ihn Dir also gut schmecken zum Kaffee und denke an uns.

Was wird uns die nächste Zeit bringen? Bunt geht es ja wieder bei uns zu. Also an Deinen Geburtstag die große Abstimmung! Ihr armen Berliner seid wirklich nicht zu beneiden! Wer weiß, was für Gesindel jetzt ans Ruder kommt! Oder was für Kämpfe es jetzt geben wird! Von zu Hause hattest Du auch wohl die traurige Nachricht, daß Frau Frieda Erythropel gestorben ist. Mich hat dieser mir so völlig unerwartete Tod eines Menschen, der mir so lieb war, sehr traurig gemacht. Man kann so etwas einfach nicht begreifen. Denke nur, wie alle Tropels sie vermissen werden! Mir tun sie alle so leid, auch unsere Tropels, das ist doch eine zu große Lücke!

Sonst schreibt Mutti ja Gott sei Dank, daß sie Alle gesund sind, nachdem Trudi damals wegen ihrer Grippe nicht zu Dir konnte. Ich habe das sehr für sie bedauert, denn in Hagenow hat sie doch was Tanzen anlangt, garnichts. Schatzi und ich sind auf unsere alten Tage noch leichtsinnig geworden. Wir machen einen Tanzkursus mit, ausgehend vom Deutschnationalen Verband, zu sehr billigem Preise – beide zusammen 90 Mk! Jeden Freitag, 12 Std., also ein Vierteljahr. Das Arrangement ist nicht gerade elegant, aber sehr anständig und nett. Wir haben nette Gesellschaft gefunden, sitzen stets an einem Tisch mit einem Apotheker u. seiner Gattin, etwas ältere rundliche Leute, und einem Kaufmann mit seiner Frau, nette und wohlhabende Leute. Jedenfalls ist es immer reizend, wir unterhalten uns gut und das Tanzen gefällt uns über alle Maßen. Mücki und ich tanzen uns natürlich zusammen ein, Onestep, Foxtrott, Boston haben wir bereits gelernt, dazu einen reizenden Gesellschaftstanz Mata Fastio, und dann wird Lanzier wieder eingeübt. Wir freuen uns jedesmal auf diesen Abend, den Schluß bildet ein kl. Ball im April und eine „deutsche“ Maifeier. Geleitet wird die Sache von einem

Dr. Zorn, der begeisterter Patriot ist. –

Auch sonst sind wir gesund, leider müssen wir so frieren, da unser Kohlenvorrat längst zuende ist und wir bei den heutigen enormen Preisen einfach nicht das Nötige bezahlen können. Es ist schrecklich; bis um 4 Uhr bin ich grün und blau gefroren, dann heize ich an und wenn Hanni um ½ 6 oder 6 kommt, hocken wir am Ofen, hinten in der Stube ist es kalt. Möchte doch endlich diese verd . . . te Kälte aufhören, ich bin oft rein verzweifelt. Wie ist es mit Dir?

Und nun zum Schluß! Alles Gute! Schreib einmal. Tausend Grüße

Dein Klärchen.

Noch eins. Paula geb. Pommée fährt am 22.März drüben ab u. wird wohl Mitte April hier anlangen. Sie kommt allein mit den Kindern, ihr Mann im Juni nach. Sie ist ganz aus der Tüt, bis Oktober bleiben sie hier. Ich bin sehr gespannt! Dollar hat sie leider nicht geschickt!

Hamburg, den 12/2. 1922

Mein lieber Georg,

Dein bevorstehender Geburtstag bringt es mit sich, daß wir die Post auch mal etwas verdienen lassen, was wir sonst nicht ohne weiteres tun. Es ist also ganz gut, daß einer mal Geburtstag hat, denn sonst könnte es leicht kommen, daß man ein halbes Jahrhundert nichts mehr voneinander erfahren würde, weil die Post- und andere -gebühren immer „billiger“ werden. Sie steigen quadratisch im umgekehrten Verhältnis mit den Einnahmen. Heute sind sie noch so billig, daß sogar ein Paketchen an Dich abgehen kann, dessen Inhalt Dir hoffentlich gut munden wird. – Für das kommende Jahr wünsche ich Dir das Beste namentlich in Deinem beruflichen Leben, alles andere hängt ja davon ab. Drum ein herzliches „Glück auf!“ –

Wir haben in den letzten Tagen viel an Dich denken müssen, wenn wir, von der Kälte an den Ofen getrieben, nichts anderes tun konnten, als uns gegenseitig etwas erzählen. Bei uns war und ist’s nicht gerade schön, aber in diesem verfluchten Berlin, verzeih diesen harten Ausdruck, ist tatsächlich der Teufel los. So eine verrückte Zeit hatten wir doch noch nie und daß es so zugehen kann, ist doch nur ein Beweis dafür, daß wir die schiefe Ebene noch nicht verlassen haben. Ich fürchte, daß wir – wenn am Mittwoch, Deinem Geburtstag, Wirth die ihm längst schon zustehende Luftreise antritt – einem dollen Zeitalter in die Hände fallen werden. Schließlich wird doch noch die große Klopperei im Innern kommen, der dann die Gesundung folgen muß wie in Bayern.

Es herrscht bei uns die Stimmung wie im Wirtshaus kurz vor der Keilerei, allen kribbelts in den Fingern und wenn die Sache endlich vorüber ist, dann freut man sich. Wenn man sich diese Bonzen da oben ansieht, diesen Wirth, Rathenau, Hermes und all die anderen „Helden“ Junge, Junge, dann kann es einen wirklich – na lassen wir’s lieber ungeschrieben. –

Bist Du trotz der Streiks noch gut erhalten, dann lasse auch Du etwas von Dir hören, was ja jetzt wieder gehen soll, denn es gehen ja wieder Züge. Famos so ein Eisenbahnstreik, man bekommt, ohne daß man dafür etwas Geld ausgeben muß, so eine kleine Vorstellung von der Zeit, als man die Eisenbahn noch nicht kannte. Gewundert hat man sich in dieser Betrachtung nur über die großen Gebäude, die ab und zu im Lande stehen und von denen einige sogar als zu klein beschimpft worden sind. Schade daß der Streik in die kalte Jahreszeit fiel, denn im Hochsommer hätten die Herren Beamten die Ferien doch viel länger ausdehnen können. –

Ja, ja wir haben uns ein herrliches Jahrhundert ausgesucht, um darin zu leben. Quousque tandem?!

– Bleib gesund, lieber Georg, und laß Dich vielmals grüßen von Deinem Schwager

Franz.

Hamburg, 12. Juli 1923.

Lieber Georg,

endlich nehme ich mir einmal die Zeit, um Dir den längst fälligen Brief zu schreiben. Ich glaube, seit das Kind da ist, hast Du noch nichts von mir gehört. Ja, ja, eine geplagte Mutter kommt zu nichts! Nun erst mal vielen herzlichen Dank, lieber Georg für die vollkommen unerwartete Sendung vor einigen Tagen. Gewiß war sie hoch willkommen und ich habe sie gleich in Jäckchen für unser Bübi angelegt. Denn was man heute nicht kauft, kann man morgen nicht mehr bezahlen. Es ist wirklich weit mit uns gekommen, und das alles mit einer Geschwindigkeit von 0,0.

Mutti hatte Dir gewiß noch mal geschrieben, daß Franz so furchtbar schlecht bezahlt bekam diese ganzen letzten Monate. Es war direkt entsetzlich. Nun endlich ist es mit unendlicher Mühe gelungen, ab 1. Juli die Tarifgehälter durchzusetzen, sodaß wir jetzt bedeutend mehr bekommen und doch wissen, wo wir das Tägliche hernehmen sollen, was ich bisher nicht wußte. Das Bübchen kostet doch auch schon eine Menge, Milch, Butter, Mehl. Dazu die Kleidung, die ich doch auch schon für den Winter kaufe. Nun, ich bin wirklich sehr froh, daß diese Geldgeschichte endlich geregelt ist, es war ja auch unmöglich, mit dem wenigen Geld auszukommen. Doch wollte Franz so ungern wechseln, weil er hier so selbständig arbeitete, wie noch nirgendwo anders.

Und nun will ich erst mal fragen, wie es Dir geht, bei dieser großen Hitze in Berlin? Bist Du denn eigentlich wieder umgezogen, sodaß Du jetzt Charlottenstr. wohnst? Oder bist Du schon auf Urlaub und geht die Reise wieder ins Gebirge? Wir wollen Mitte August auf ca. 3 Wochen nach Hagenow fahren, alle drei. Natürlich werden wir den Eltern die Kosten unseres Aufenthaltes ersetzen. Aber es ist für uns doch billiger und wir haben die gute Luft. Eigentlich sollten wir durchaus nach Annaberg reisen, aber Bübchen ist mir für solch eine lange Fahrt noch zu klein, das wollen wir nur bis zum nächsten Jahre verschieben, wenn er schon laufen kann. Sonst geht es dem Bübchen gut. Er entwickelt sich prächtig, ist schon ein großer Junge geworden und dabei wird er am 22. Juli erst 4 Monate! Wir haben jetzt sehr viel Freude an dem kleinen Kerl und ich verstehe sehr schön mit ihm fertig zu werden, was zuerst nicht leicht war. Du müßtest ihn Dir wirklich einmal ansehen kommen. Vielleicht sehen wir uns in Hagenow oder liegt es zu sehr abseits für Dich? Die Fahrpreise sind ja enorm und wie mögen sie bis dahin noch erst werden!

Übrigens bin ich jetzt öfter mal mit Inge geb. Meyer zusammen. Wir wohnen ja nur ½ Std. auseinander. Du weißt doch, daß sie auch einen kleinen Jungen hat? Aber ich sage Dir, das ist ein wenig schönes Kind, unser Bübi ist tausendmal niedlicher. Den kleinen Jungen möchte ich nicht haben. Aber sie finden ihn G. s. D. auch schön und sind sehr stolz auf ihn. Er heißt Peter Christl. Unser Bübchen heißt Wolfgang, das weißt Du doch? Unsere Omama mag unser Bübchen doch auch garzu gern leiden. Vor 14 Tagen war sie kartoffelbringenderweise auf 3 Tage bei uns. Sie scheute nicht die Strapazen der 4. Klasse, sie wollte doch zu gern den Jungen wiedersehen. Er wird ja auch jeden Tag niedlicher, ist so freundlich, lacht und erzählt auf seine Weise. Jetzt fängt er an, sich zum Sitzen aufzurichten, aber das ist nicht leicht, hundertmal wohl hat er es schon probiert. Ich denke, in 4 Wochen wird er es raushaben. Na das mag gut werden! Er ist schon jetzt ein so bewegliches Kind, daß man ihn garnicht allein lassen mag. Arbeit habe ich ja überhaupt genug jetzt. Das Bübchen nimmt viel Zeit in Anspruch. Franz kommt allerdings 2 mal in der Woche erst um 9 Uhr nach Hause und geht auch Sonntag bis 2 Uhr fort. In dieser Zeit verdient er noch ein nettes Stückchen Geld extra, was wir für die Anschaffungen für Bübi haben müssen. Nun kommt wieder das Bettchen zum Winter, doch hoffen wir, ein solches von Frau Major Schott billiger zu bekommen. Hedi will jedenfalls sehen, was sich machen läßt. –

Nun zum Schluß wünsche ich Dir recht schönen Urlaub. Hoffentlich reist Du nicht gerade bei dieser fast unerträglichen Hitze. Welch ein Gegensatz zu dem noch so kalten Junimonat! Franz und ich grüßen Dich tausendmal. Bübchen bedankt sich nochmals für seine schönen Jäckchen und möchten seinen lieben Onkel Georg auch gern einmal sehen. Alles Gute!

Deine Kläre.

Franz will noch an Heinrich Brettner schreiben, daß er nach den Delbrückschächten kommen kann, muß allerdings selbst für Unterkunft sorgen, was nicht leicht ist.

Hamburg, 13. Februar 24.

Mein lieber Georg,

schon wieder ist das Jahr herum und ich sitze und will Dir Glück wünschen. Mir ist es, als sei erst kurze Zeit vergangen, seit ich im vergangenen Jahre an derselben Stelle saß und an Dich schrieb. Leider ist damals mein herzlicher Wunsch für Dich, daß Du ein eigenes Heim gründen möchtest, nicht in Erfüllung gegangen, obgleich es kurz davor war, wie ich aus einer kurzen Andeutung von Dir ersah und von Trudi jetzt Neujahr auch bestätigt hörte. Schade, armer Georg, es wäre doch so schön für Dich gewesen, warum mußte das auch alles gerade so unglücklich sein. Kann man denn heute überhaupt heiraten? Viele behaupten „nein“. Und wo ist ein Mädchen, das eine Aussteuer beschaffen kann? Aber trotzdem, lieber Georg, verlier den Mut nicht und halt die Augen offen, vielleicht kommt Dir doch noch ein schönes Glück, am liebsten schon im nächsten Jahre. Im übrigen, bleibe vor allem gesund, sei nicht zu waghalsig auf Gebirgstouren und Sibirienreisen, hab Freude an Deiner Arbeit und verdiene genügend Geld, dann ist das Leben immer zu ertragen. Wie geht es Dir? Ich würde mich wirklich freuen, einmal ein etwas ausführlicheres Lebenszeichen von Dir zu erhalten, worauf aber wohl nicht zu rechnen ist. Durch Trudi und Erich hörten wir von Dir, von Deinen Plänen und Aussichten. Na, hoffentlich sehen wir uns Ostern endlich einmal wieder in Hagenow, Du mußt doch nun unser Bübchen auch einmal kennen lernen, Du weißt ja noch garnicht recht, daß Du „Onkel Georg“ bist. Jetzt kann man auch schon allerhand mit dem kleinen Kerl anfangen, er erzählt immerzu vor sich hin alle seine schönen Laute, und macht allerlei Späßerchen, jetzt wird er allmählich etwas amüsant. An Stehen oder Laufen denkt er allerdings noch nicht, das kommt wohl auch etwas spät bei ihm, wie er ja auch spät sitzen gelernt hat. Geistig ist er gut entwickelt, Ostern, wenn er dann schon 1 Jahr alt ist, wird er ja noch viel weiter in allem sein. Heute hatte ich keinen geringen Schreck. Als ich mich beim Baden umdrehe, um das Thermometer aus dem Wasser zu nehmen, fällt mir der kleine Kerl vom Chaiselongue, G. s. D. scheint er sich nichts getan zu haben, nach dem ersten großen Geschrei war er nachher ganz vergnügt, planschte fleißig im Wasser herum u. aß nachher eifrig seinen Brei. Jetzt schläft er in seinem kl. Gitterbettchen, in das wir ihn seit Sonntag gelegt haben, weil er für den Wagen zu groß geworden war. Im Augenblick sind wir G. s. D. alle gesund. Ich war vorher 3 Wochen recht erkältet, Bübchen und Vati auch. Der jetzt seit Tagen herrschende Ostwind peinigt uns sehr. Er holt uns die so mühsam eingekaufte Feuerung alle wieder aus dem Ofen heraus. Dabei ist es kalt im Zimmer. Ich wünschte nur, es würde erst wieder Frühling, damit man neu auflebt. Franz hat ja auch an Dich geschrieben, da wirst Du wohl über unsere wirtschaftl. Lage erfahren haben. Hoffentlich gelingt es Franz nun, Geschäfte zu machen, sodaß wir etwas mehr verdienen als 120 Mk monatlich, womit wir natürlich nicht hin und her reichen konnten u. Schulden gemacht haben. Nun: qui vivra, verra.

Nun, lieber Georg, zum Schluß: Ich friere, es ist kalt im Zimmer. Nochmals viel Gutes fürs neue Lebensjahr und herzl. Grüße

Deine Kläre.

Hamburg, den 13.2.24.

Mein lieber Georg,

es ist doch gut, daß man mal Geburtstag hat, da bekommt man auch von den seltensten Leuten einmal etwas zu hören. Selten deswegen, weil Du eine Ewigkeit nicht mehr von uns beiden mit einem Brief bedacht worden bist. Nun laß Dir erstmal herzlichst alles Gute für das kommende Jahr wünschen. Vor allem bleib gesund und dann wünsche ich Dir nun jetzt wirklich eine reiche nette Frau. Soviel ich weiß, hast Du hier und da schon Umschau gehalten unter den Töchtern des Landes und bist sogar schon bei einer engeren Wahl gewesen. Es ist gewiß nicht leicht, sich zu entschließen, denn heutzutage muß nicht nur das Herz zum Herzen passen, sondern der verdammte Alltag, der hinter dem Schleier lauert, kommt sehr bald zum Vorschein. Also Glück auf! –

Ich werde in den ersten Tagen des kommenden Monats geschäftlich in Berlin sein, und nicht verfehlen, Dich aufzusuchen. Ich werde Dich dann vorher verständigen und Dich auf dem Büro aufsuchen. – Zu Ostern werden wir Dich wohl in Hagenow sehen und Du kannst Dir dann unseren Sprößling besehen, der nun bald ein ganzes Jahr auf diesem Jammertal weilt. Ihm kommt es allerdings noch paradiesisch vor, denn lustig und vergnügt ist der kleine Kerl, wenn nicht gerade wegen der Flasche geheult werden muß. Er fängt auch an allerhand zu plappern und kann dies und das schön nachsagen. Frühmorgens habe ich am meisten von ihm, denn am Tage komme ich nur Mittags ganz kurz nach Haus und am Abend ist er bereits im Reich seiner gewiß schönen Träume, Die Sorgen läßt der gute Mann seinen Eltern, die sich weidlich damit abplagen müssen, aber er macht doch Freude für den Liebling sorgen zu können, wenn’s auch nicht immer leicht ist. Sieh zu, daß Du auch bald soweit bist und für einen kleinen Sambach sorgst. Gab’s auf den Bällen nichts zu ergattern? –

Ich hoffe Dich demnächst gesund wiederzusehen und bin mit einem nochmaligen kräftigen „Heil“

Dein treuer Schwager

Franz

Hamburg, 11. Febr. 25.

Mein lieber Georg,

es ist zwar erst Mittwoch Abend, aber da wir morgen und übermorgen völkische Abende haben, will ich schon heute, wo Franz später nach Hause kommt, Dir meine Wünsche zum Geburtstag übermitteln. Was ich vor allem wünsche, brauche ich wohl kaum in Worte zu fassen. Du weißt, wie sehr wir alle an Dich denken und Dir eine neue Tätigkeit ersehnen. Armer Jung, das ist kein schöner Geburtstag, so allein dazusitzen und dann noch nicht mal Geld zu verdienen. Ich glaube kaum annehmen zu dürfen, daß Du Aussicht auf etwas hast, wissen wir doch alle, wie groß die Notlage ist. Was wird aber mit Dir werden, da Du keinen guten Freund hast, der pumpen könnte? Bleibst Du noch in Berlin? Konntest Du etwas verdienen? Vor allem bleibe nur gesund. Es ist ja bisher G. s. D. nicht kalt, sodaß Du hoffentlich nicht zu frieren brauchst. Wir schicken Dir von Hanni’s Firma aus 1 Dose Leberwurst, die ausgezeichnet ist und 1 Dose Sülze. Diese schmeckt recht gut zu Bratkartoffeln mit Essig u. klein geschnittenen Zwiebeln.

Ich hoffe, daß Du eine kleine Freude darüber hast. Wir können ja auch leider garnichts geben, sondern sitzen selbst noch so tief in Schulden. Hanni hat außerdem seinen Posten erst am 1. Febr. antreten können, da der andere Buchhalter mit seinen Abschlüssen nicht fertig wurde, sodaß wir noch kein Gehalt bekommen haben u. uns den Januar entsetzlich durchquälen mußten. Wir werden ja noch sehr lange an den Folgen von Hanni’s Verdienstlosigkeit zu tragen haben, aber es kommt uns doch wie ein großes Glück vor, daß Franz wieder arbeiten und verdienen darf, wenn es ja mit dem letzteren nur sehr bescheiden ist.

Ja, ja, es ist ein hartes Schicksal, daß gerade die, die gern arbeiten wollen und können, so herumlungern müssen in unserem so wunderbar regierten Vaterlande. Möchte es Dir vergönnt sein, bald einen Posten zu finden, das ist wohl unser aller Wunsch, die Dir zu Deinem, ich glaube beinahe schon 30. Geburtstage schreiben werden! Wir haben eine große Freude in Aussicht, Mutti kommt Ende Februar, jedenfalls zum 22., um Bübchen zu sehen und seinen Geburtstag bei uns vorzufeiern, da ihr der 22. März zu dicht vor Ostern liegt, wo wir evtl. nach Hagenow zu fahren gedenken. Ich freue mich schon sehr auf Muttis Besuch, habe mir auch schon allerhand ausgedacht, wie ich ihr den Aufenthalt bei uns schön gestalten will. Sie muß diesmal mindestens 4 – 5 Tage bleiben, es lohnt sich sonst ja garnicht. Bübchen wird ihr gewiß viel Spaß machen, da er doch jetzt schon so niedlich ist und man soviel mit ihm anfangen kann. Am Sonntag denke ich die ganze Verwandtschaft zum Kaffee einzuladen, Tante Lieschen Meyer, Inge u. ihren Mann, Liesbeth Brettner. Das mag ein schönes Erzählen werden, Franz wird schon ganz angst, wenn er an all die Frauensleute denkt.

Sonst leben wir noch sehr zurückgezogen ohne Verkehr usw. Aber ich freue mich wirklich darauf, im Laufe der hoffentlich für uns besser werdenden Zeit wieder Gäste bei uns zu sehen. Ich habe so gern Besuch und entbehre es sehr, daß wir so niemanden bei uns sehen konnten und mochten. Dafür sind wir allerdings regelmäßig zu unseren völkischen Abenden am Donnerstag gewesen, wo ich stets Anregung gefunden habe und auch im Laufe der Zeit mich an sympathische Menschen angeschlossen habe. Sonst ist nicht viel zu berichten. In unserer Wohnung sitzen wir noch, was weiter wird, muß die Zukunft lehren. Hanni läßt vielmals grüßen und dasselbe wünschen wie ich. Bubi grüßt seinen „Ompel“ ebenfalls. Nochmals von mir alles Gute, Dein Geburtstag fällt ja auf einen Sonntag, wie magst Du ihn verleben?

Tausend Grüße

Deine Kläre.

Hamburg, 8. Nov. 1928.

Lieber Georg,

wie mag es inzwischen bei Euch aussehen? Ich setze mich nun hin und will etwas ganz anderes schreiben, während Ihr vielleicht unruhevoll mitten in einem großen Ereignis steht. Ich danke Dir für Deinen Brief. Er hat mir sehr wohl getan in seinem Eingehen auf meine Lage. Ich habe mir nun noch einmal alles genau überdacht und bin allerdings zu dem Schluß gekommen. daß eine Bürotätigkeit mir 1. mehr zusagt, 2. mehr einbringt und 3. mich nicht so anstrengen würde. Ich habe ja auch immer nach einer solchen Arbeit gesucht, aber weder auf meine Bewerbungen noch auf meine eigene Annonce eine Stellung gefunden. So habe ich mir schließlich gesagt, außer dem Hause finde ich nichts, folglich muß ich im Hause Geld zu verdienen suchen. So bin ich auf den Plan des Mittagstisches gekommen. Du weißt, daß ich die Hauswirtschaft eigentlich nicht sehr liebe und statt ewig zu kochen und abzuwaschen weit lieber mit dem Kopf und mit der Feder oder Schreibmaschine arbeite. Dein Brief hat mich nun wieder sehr in Unruhe gebracht und meine Liebe zum kaufm. Beruf von neuem angefacht. Du schreibst, Du glaubst mir bei Erlangung einer Stellung behilflich sein zu können. Ich fürchte, daß es sehr schwer sein wird. Gewiß stehen Angebote genug im Fremdenblatt, aber eine Frau, die lange außer Tätigkeit war, stellt so leicht niemand ein. Was könntest Du mir evtl. raten, was ich tun könnte? Soll ich z.B. nochmal eine größere Annonce aufgeben u. darin sozusagen an das gute Herz der Menschen appellieren? Meine Angelegenheiten zu Hause würden sehr schnell geregelt sein. Beide Kinder kämen in die sehr nette Spielschule, sie liegt am Wege zum Bahnhof, und ab 3 – 6 Uhr würde ich eine Hilfe nehmen, die sauber macht, die Kinder abholt und sie betreut, bis ich komme. Es käme für mich ja nur durchgehende Arbeitszeit in Frage. Die Kinder wären in der Spielschule besser aufgehoben als bei ihrer nervösen Mutter. Brot nehmen sie mit, Milch und Mittagessen bekommen sie dort. –

Zum Aufmachen eines Mittagstisches brauche ich ein Kapital von ca. 130.– Mk. Ein Linoleumteppich, eine Garderobe, Stühle, Geschirr, Bestecke. Wir würden das evtl. als Vorschuß von Testorp bekommen, aber bei einem Reingewinn von 65 Mk monatl. würde ich 2 Monate umsonst gearbeitet haben. Jedoch steht mein Plan fest. Falls ich kaufm. nichts finde, mache ich den Mittagstisch auf. So untätig sehe ich einem evtl. neuem Verderben nicht mehr zu. Und eine andere Möglichkeit sehe ich nicht. Ich bin gespannt, was Du mir raten wirst. Vielen Dank für alle Mühe und Liebe. Grüße Mie von Herzen von mir. Ich bitte sie, mir nicht böse zu sein, wenn ich zu ihrem Geburtstag nicht extra schreibe. Wieviel Gutes ich ihr wünsche, das läßt sich garnicht sagen. So oft fährt’s mir am Tage durch den Sinn, wie’s wohl mit Mie geht, alles, alles Gute!

Herzlichste Grüße

Deine Kläre.

Hamburg, 12. November 1929.

Lieber Georg, liebe Mie,

herzlich gratuliere ich Euch zum ersten Geburtstag Eures kleinen Buben und wünsche Euch Glück und Wohlergehen für sein neues Lebensjahr. Möge er Euch ferner erfreuen wie bisher! Hoffentlich seid Ihr alle drei gesund und munter an diesem Festtage und könnt ein bißchen feiern. Unseren Buben geht es auch ganz gut, sie freuen sich, daß sie noch immer soviel draußen spielen können. Diegos Höhensonnenkur ist nun auch bald wieder beendet und damit scheint er seinen Husten nun auch endgültig los zu sein.

Hedi ist gerade einige Tage bei uns, sodaß ich etwas Abwechslung und auch abends Gesellschaft habe. Sie ist aber immer noch nicht recht wieder in Ordnung, alles strengt sie an und sie ist immer müde. Sie will es ja durchaus noch wieder mit einer neuen Stelle versuchen, aber vor 1. Januar wird es überhaupt nicht möglich sein.

Ich selbst trete nun auch wieder mit Dr. Oppenh. in Verbindung und bin gespannt, ob etwas für mich dabei herauskommt. Mit dem Winter und all seinen Forderungen tritt doch wieder die Notwendigkeit an mich heran zu verdienen, zumal Franzens letzte Versuche, noch dazu zu verdienen, ziemlich ergebnislos verlaufen sind. Hoffentlich habe ich nun in diesem Jahre mehr Glück als damals.

Für Deinen Brief und das Geld, lieber Georg, herzl. Dank. Ich beglückwünsche Dich zu Deiner politischen Tätigkeit und hoffe, daß Du nicht allzuviel Ärger und Aufregung davon hast. Bei dem Volksbegehren mit all seinen Zwischenfällen ist uns auch oft bange gewesen. Man sieht jetzt so recht, wie jammervoll es in unserem armen Vaterlande aussieht. Ich gräme mich mit über all das Unrecht und Elend. Welch törichtes und mißleitetes Volk. Zu welchem Ende mag das führen! Dabei habe ich selbst Sorgen genug. Und Tausende Andere mit mir.

Aber Ihr, seid glücklich, freut Euch Eures kleinen Buben!

Wir grüßen Vater, Mutter

und das Geburtstagsbübchen herzlichst.

Eure Kläre.

Hamburg, 20. Sept. 1930.

Mein lieber Georg,

ich danke Dir von Herzen für Deine Wünsche zu meinem Geburtstag und für

Deine Geldsendung. Ich habe mir dafür, – mit den 5.– Mk extra hatte ich garnicht

gerechnet – ein Buch gekauft, das ich mir schon lange ersehnt habe. Es ist „Des Kindes Seele und der Eltern Amt“ von Mathilde Ludendorff. „Den Deutschen Gottglauben“ habe ich schon seit letzten Weihnachten. Welch einen Reichtum Du mir unbewußt durch Deine Gabe ins Haus gebracht hast, würdest Du nur verstehen, wenn Du selbst dieses Buch einmal lesen würdest. Vielleicht findet sich das später auch noch einmal. Lieber Georg, ich schicke Dir nun heute 2 kleine Heftchen, die ich Dich bitte, ganz objektiv zu lesen. Ich habe noch Manches für Dich hier und würde Dir gern gelegentlich mehr schicken. Doch erst einmal dieses. Bitte, lies zuerst Rom – Juda. Niemand wäre glücklicher als ich, wenn auch in Deiner deutschen Seele ein Widerhall erweckt würde. Laß‘ die Bücher bitte auf Dich wirken, ohne Dich im voraus durch Gehörtes oder anderweitig Gelesenes beeinflussen zu lassen. Ich hoffe, daß auch Du, liebe Mie, Dich einmal damit beschäftigen wirst. Für Dich habe ich noch die

beiden zuerst genannten Werke, die ich Dir gern leihen würde. Du bist selbst Mutter und eine deutsche Frau, Dich geht es zu allererst mit an. Jetzt erwartest Du auch noch Dein zweites Kindchen. Ich freue mich von Herzen mit Dir und wünsche Dir für die kommenden Monate das Beste. Es ist schwer und schön zugleich!

Nun habt Ihr Euch hoffentlich alle durch den Seeaufenthalt etwas gekräftigt. Möchte das kleine Kerlchen doch etwas widerstandsfähiger mit seinem Hals geworden sein, damit Ihr im Winter nicht zuviel Not mit ihm habt, wo Du Dich doch schon auf das zweite Kindchen einstellen mußt. Ich wünsche von Herzen, Ihr bekämt eine recht zuverlässige und tüchtige Hilfe! Deine liebe Mutter hat uns ja auf unserer Durchreise so sehr nett aufgenommen und uns auch Eure schöne Wohnung gezeigt, sodaß ich mir nun in allem eine Vorstellung machen kann. Wir denken immer gern an die schönen Tage bei den Deinen zurück und danken auch Dir und Georg, daß Ihr uns den Aufenthalt dort vermittelt habt. Bitte, grüße Deine Eltern und Bruder herzlich von uns allen. Deinem Vater noch nachträglich herzl. Glückwünsche zu seinem 60. Geburtstag. –

Die Bildchen von Klaus-Georg sind sehr niedlich, besonders das eine, wo er so

ausschreitet. Herzlichen Dank! Eigentlich wollte Mutti heute kommen. Aber wir fürchteten uns vor dem grauenhaften Wetter und Mutti hat nun ihren Besuch noch verschoben. Heute klärt es sich ja nun gerade auf, aber wer weiß, ob es morgen, Sonntag, nicht wieder in Strömen gießt. Und Mutti wollte so gern einmal zu Hagenbeck und in den Stadtpark oder an die Elbe! Aber, wie soll man bei Regenwetter dahin kommen? Uns geht es allen gut. Wir sind gesund und freuen uns

noch täglich über den Wechsel in Franzens Arbeit. Hoffentlich bleibt es so. Allzu sehr beschäftigt ist die Firma leider auch nicht. Na, hoffen wir das Beste.

Euch nochmals Dank und hrzl. Grüße von uns allen!

Eure Kläre.

undatiert

Meine liebe Mie und lieber Georg,

ich traure tief mit Euch um den Tod Eures kleinen Mädchens. Ich fühle ganz Euren Schmerz mit, daß Ihr nun das soeben in Schmerzen geborene Leben der Erde zurückgeben müßt. Meine liebe Mie, wie schwer mußt Du schon leiden, so jung Du bist. Ich weiß aber, daß Georg Dir in Deinem Leid nahe ist und daß Ihr gemeinsam tragt. So werdet Ihr in gemeinsamer Kraft Euren Schmerz überwinden und innerlich wieder stark werden. So leidvoll sind diese Tage und heute steht Ihr zum letzten Mal an dem kleinen Sarg. Dann umschließt die heilige deutsche Erde für immer Euer totes Kind. Es wird ihm wohl sein, wenn seine Kraft doch nicht für das Leben gereicht hatte. Ich sende Euch von Hamburg aus meinen ersten und letzten Blumengruß für Euer Kind, legt ihn am kleinen Grab nieder. Meine Gedanken sind bei Euch in Euren schweren Stunden. -

Und dann kommt das Leben wieder und Euer kleiner Bub fordert Eure Liebe. Er wird sie mehr als vordem haben. Ihr werdet mir einmal schreiben, wenn die Zeit erreicht ist. Inzwischen grüße ich Euch in innigem Verstehen, Eure Kläre.

In der Stunde, da Ihr Eure Hoffnung zu Grabe tragt, laßt Euch auch von mir meine herzlichste Teilnahme aussprechen. Laßt es Euch Trost sein, daß Euer Claus-Georg bei Euch ist und Euer Sein verschönt! Euer Schwager Franz

undatiert

Lieber Georg, liebe Mie,

unsere Blumenhandlung vermittelt an ein dortiges Geschäft meinen Auftrag, und so hoffe ich, daß Ihr wie bestellt, meinen kleinen Kranz am Sonnabend Nachmittag haben werdet. Nehmt diesen Gruß als Zeichen meiner innigen Anteilnahme und legt ihn auf den Hügel, unter dem nun Euer kleines Kind für immer ruht. Ich denke, Ihr nehmt Gelegenheit, Sonnabend Abend oder Sonntag hinauszugehen.

Ist der Friedhof in Zehlendorf? Dann habt Ihr es ja nicht so weit. So geht nun das Leben seinen Weg weiter und Ihr mit ihm. Langsam wird auch Euer Schmerz linder werden. Herzliche Grüße Euch beiden. Ich will in den nächsten Tagen auch noch an Deine liebe Mutter schreiben, liebe Mie.

Eure Kläre.

Hamburg, 27. Nebelung 1931.

Lieber Georg,

herzlichen Dank für Deine lieben Zeilen und für das Geld, das ich durch Papa erhielt. Mutti schrieb dazu erst in ihrem letzten Brief daß es von Dir sei. Gewiß habe ich mich schrecklich darüber gefreut. Aber es ist mir peinlich, wenn ich denke, daß Ihr es entbehrt. Es gibt Not und Leid zuviel und es muß schon jeder sehen, wie er fertig wird. Wie Du schreibst, hast Du ja auch Deine Sorgen, ich wünsche nur, sie wären unbegründet. Daß es mit Deinen Schwiegereltern auch in den großen Betrieben seine Schwierigkeiten hat, liegt ja auf der Hand. Wir müssen es alle am eigenen Leibe spüren, wohin die überstaatlichen Mächte unser armes Volk führen. Verzweiflung, Elend, Krieg. Ludendorff hat schon recht. Nur wenn erst der Februar kommt, werden wir unser Teil erleben. Und falls dieses arme betrogene Volk nicht erwachen und erkennen will, so wird es eben zugrunde gehen.

Franz ringt schwer und mühselig um unsere Existenz. Er ist bisher noch nicht stempeln gegangen. Sein Verdienst war im ersten Teil des Monats ganz gut, sodaß wir damit auskommen konnten. Jetzt zum Schluß ist garnichts los, sodaß wir schon ganz niedergedrückt sind, da die Miete herannaht usw. Hoffentlich holt Franz in den ersten Tagen Julmond wieder etwas auf. Mit Herrn Völkel, dem Sohn u. Generalvertreter der Schlesischen Leinen- u. Wäschefabrik, Langenbielau / Schl., versteht Franz sich ausgezeichnet. Es handelt sich hauptsächlich um das Kittel- u. Handtuch Verleihgeschäft. Ich lege Dir ein Werbeblatt mit bei.

Als Zweites folgt der Verkauf von Herrnoberhemden u. Nachthemden, aller Art Leinenstoffe u. fertiger Bett- u. Tischwäsche. Die Ware ist tadellos und weit unter Ladenpreis, da auf die Fabrikpreise nur Völkels u. Franzens Prozente (25%) draufkommen. Leihmäntel hat Franz schon weit über 100 gemacht, aber es ist doch sehr mühsam u. aufreibend. Vor allem kommt er im Augenblick Tag und Nacht nicht zur Ruhe, da mit der alten Vertragswäscherei furchtbare Schwierigkeiten entstanden sind u. alles verändert werden muß. Franz fährt selbst 2 Tage als Begleiter mit dem Lieferwagen. Heute ist er seit 7 Uhr unterwegs und ist jetzt um ½ 10 Uhr noch nicht zu Hause. Dafür hat er fast gar keine Entschädigung. Wie er auch viele Nachmittage u. Abende mit Völkel an der Organisation des nun allerdings wachsenden Geschäftes arbeitet. Hoffentlich lohnt sich all die Mühe und Arbeit. Quälen müssen wir uns jedenfalls furchtbar. Aber stempeln ist ja noch schrecklicher und aussichtsloser. Wir müssen erst einmal abwarten.

Mit unsern besten Bekannten, Pipes, sind wir auf ganz schreckliche Weise auseinandergekommen, dadurch entstand auch eine Differenz mit der hiesigen Gruppe des Tannenbergbundes, sodaß wir den Veranstaltungen unserer Ortskampfgruppe augenblicklich fern bleiben. Franz hätte sowieso keine Zeit dazu. Mir ist es recht schmerzlich. –

Daß Eure Wohnung etwas feucht und fußkalt ist, finde ich schrecklich. Warum mußtet Ihr denn ins Erdgeschoß ziehen? Ihr kennt doch unsere Erfahrungen. Diego hat sicherlich viel unter diesen Verhältnissen zu leiden gehabt; in diesem Winter haben wir alle Zimmer umgestellt und finden es so jedenfalls gesunder zum Schlafen. Daß Euer Bub dadurch wieder mehr zum Husten neigt, ist sehr bedauerlich. Diego hat seine Masern überstanden, doch fürchtet der Arzt, daß sein Herz etwas angegriffen ist. Ich gehe am Montag nochmals zur Untersuchung, wovon abhängt, ob Diego Ostern zur Schule kommt oder noch nicht. Wolfgang ist bei Diego aus und ein gegangen, ohne daß er die Masern bekommen hat, wie er ja auch im letzten Frühjahr als Einziger von der Mandelentzündung, die wir alle hatten, nicht befallen wurde. –

Inzwischen hatte ich aus Bredenfelde vor 3 Wochen die Nachricht, daß Frau Baack gestorben sei und jetzt erhielt ich die furchtbare Kunde, daß meine jüngste Schülerin damals, Elli Baack, sich mit ihrem heimlich Verlobten erschossen hat, weil das Leben für sie so aussichtslos sei. Trudi schickte mir aus dem Kreisblatt die Notiz und Max hat mir vorgestern geschrieben. Mich hat diese schreckl. Nachricht bis ins Tiefste ergriffen. Welch furchtbares Leid muß das lebensfrohe Mädchen durchgemacht haben. Unserer Zeit ist sie als Opfer gefallen, der falschen Erziehung und der herrschenden Anschauungen. Wie unsäglich leid sie mir getan hat. –

Nun will ich schließen. Grüße Mie recht herzlich von mir und das Bübchen.

Von mir, Franz und meinen Buben         

Viele Grüße

Deine Kläre.

Hellbrook, am     Ernting 1932.

Lieber Georg,

mehr als 4 Wochen sind seit unserem gemeinsamen Aufenthalt in Hagenow verstrichen. Inzwischen hast Du mir Deine Geldunterstützung wieder zukommen lassen, durch die es mir möglich ist, die Miete für unsre Behausung zusammenbringen. Du weißt wie sehr Du mir damit hilfst und wie dankbar ich Dir dafür bin. Mir wird es nur manchmal traurig schwer, es immer wieder von Dir zu nehmen. Wenn Du mich kennst, wirst Du es verstehen. ich bin nur froh, daß Du es mich nicht fühlen läßt!

Und wie ist es Euch seitdem ergangen? Wie geht es Dir und den Deinen? Hedi erwähnte so etwas, daß Claus krank gewesen wäre? Das Wetter in Hagenow war ja auch zu unleidlich! Hoffentlich ist er nun wieder in guter Ordnung und auch das kleine Schwesterchen! Wir hatten hier jetzt viele heiße Tage mit vielen Gewittern, die aber alle an uns ziemlich günstig vorübergingen. Das Wetter war jedenfalls immer wieder schön, hoffentlich bleibt’s noch ein paar Wochen so. Konntet Ihr viel in Eurem Landhäuschen sein?

Ich denke noch oft an das drollige Geplauder Eures kleines Bübchens. Aus den Gruppenbildern ist ja in den meisten Fällen nichts geworden. Gut sind nur die Aufnahmen von Trudi auf dem Festplatz. Das eine von Claus ist ja direkt süß, nur kann man annehmen, daß es Winter ist und nicht der 15. Juli! Mie war gewiß auch froh, als sie ihren kleinen Burschen wieder hatte!

Uns geht es weiter so leidlich. Doch habe ich allerhand persönlichen Kummer und Enttäuschung erlebt und das gerade wieder mit 100 %igen Tannenbergern! Selbstverständlich kann mich das an der Weltanschauung des Hauses Ludendorff nicht irre machen. Ich weiß, daß sie hoch erhaben ist über alle Irr- und Fremdlehren. Aber daß es schwer ist, diese Weltanschauung zu leben! „Sieg der Wahrheit, der Lüge Vernichtung” ist das Motto dieser Anschauung, und handelst Du danach, so glaubt es Dir keiner! Lüge und Klatschsucht herrschen auch hier wie in jedem Bunde! Die letzten Wochen sind für mich reich an schmerzlichen Erfahrungen gewesen, doch werden auch sie für meine Entwicklung zum Segen ausschlagen, wenn ich daraus die richtige Lehre ziehe. – –

Von zu Hause und auch von Hedi hatte ich längere Berichte und war vor allem froh, daß Mutti sich nachher bald wieder erholt hat. Die Unruhe von allen Seiten war für ihre schwache Gesundheit doch wohl viel zu groß und ich habe mir im Stillen viele Vorwürfe gemacht. Mir ist ordentlich leichter geworden, als ich gute Nachrichten von Mutti selbst bekam. Vielleicht und wollen wir es von Herzen hoffen, ist es ihr ja doch noch möglich, eine Zeitlang in diesem Leben zu verweilen. Wenngleich ich auch hier auf dem erhabenen Standpunkt Frau Ludendorffs stehe, den ich Dir weiter unten mitteile, so weiß ich doch „um das Leid um den Menschen, den Lieben, der vor uns bewußtes Leben verlor”, und ich begreife vor allem Hedi, die sich schon heute in Gedanken so grämt. Dies sind die Worte Frau Ludendorffs aus „Triumph des Unsterblichkeitswillens”:

„Nicht Asche, Du ewig schlummernde Seele, bleibt Dir allein.

Die wache, bewußte Seele lebt Dir im Herzen.

Nie stirbt Dir der Freund,

Nie stirbt Dir der innig Geliebte,

Wenn je Deine Seele hin bis zum Jenseits geflogen,

Zu diesem Reiche findest Du immer wieder zurück,

Und innige Liebe zu Toten,

Sind flugstarke Flügel ins Jenseits.

Dort ist nicht heute, nicht gestern, nicht morgen,

Dort lebt Dir der Freund, wenn in Dir

Sein wahrhaftes Bild Du Dir wahrtest.

Und wenn er auch selbst

Bewußtes Erleben für immer verlor,

In Deiner Seele, stirbt er, der Geliebte,

Erst mit Dir selbst,

Nicht eine Stunde mußt Du ihn missen!

Es wimmern um Tote nur alle die Menschen,

Die Seelenschätze des Jenseits

Nicht tauschten mit den Erstarrten.

Es wimmern um Tote nur alle die Menschen

Die mühsam und matt

Hinflattern möchten zum Lichte des Lebens,

Doch ganz im Dasein verstrickt

Hinkriechen zum Tode.”

Hättest Du nicht Lust, Dich über „Jenseits erleben” und „Unsterblichkeit” im Sinne deutschen Gottglaubens im „Triumph des Unsterblichkeitswillens” zu unterrichten? Ich kann Dir versichern, daß es sich lohnt! So, und nun grüße Mie und den Buben vielmals!

Dich selbst grüßt von Herzen

Deine Kläre.