Kindheit und Jugend
Ich wurde am 29.12.1925 in Hamburg in der Finkenau als zweites Kind meiner lieben Eltern Franz und Klara Bangis, geb. Sambach geboren und hatte schon gleich einen Bruder, Wolfgang, der war schon etwas älter und war am 22.3.1923 zur Welt gekommen, meinen Eltern ging es leider nicht sehr gut, der erste Welt-Krieg war erst wenige Jahre vorüber und es herrschte noch eine große Arbeitslosigkeit, dazu noch die Auswirkungen einer großen Wirtschaftskrise, mit folgender Inflation von unvorstellbaren Ausmaßen. Wir hatten zwei Zimmer in der Papenhuder Straße, an die ich mich nicht mehr erinnern kann und zogen dann in die Lämmersieht in Barmbek, Haus Nr. 5 Parterre.
Dort in der Lämmersieht erlebte ich meine erste Jugend und kann mich an viele kleine Begebenheiten gut erinnern, z. B. Wolfgang hatte einen sog. Holländer, vergleichbar mit einem heutigen Go-Kart, mit dem sauste er dann oft den Fußweg entlang und die ganze Horde anderer Kinder immer hinterher und so auch ich, und dieser Holländer hatte zur Kraftübertragung hinten zwei freiliegende Zahnräder. Wir anderen Kinder versuchten nun, kleine Steinchen zwischen die sich drehenden Zahnräder zu stecken und oft gelang das auch ganz gut und brachte das Gefährt zum Stehen. Einmal hatte ich aber einen meinen Finger dazwischen und es blutete sehr doll. Aber Mutter war zuhause und mit einem dicken Verband (Polizeifinger) ging das Leben weiter. Unser aller Vorbild war ein großer Junge namens Bübchen Böge , son richtiger Barmbecker Briet und unserer Führer. Einmal um Neujahr als der Osterbek-Kanal zugefroren war und wir auf dem Eis spielen konnten, haben die großen Jungs am gegenüberliegenden Ufer bei der Firma OKA-Pflaumenmus, die dort wasserseitig eine Rampe hatte, auf besagter Rampe befindliches Altpapier in Brand gesteckt und dann die Flucht ergriffen. Es war schon dunkel geworden und es wurde ein hübsches kleines Feuerchen und die Polizei und Feuerwehr hatten ordentlich was zu tun. Befragt wurden auch meine Eltern und Wolfgang, aber nur Bübchen Böge bekam die Schuld.
In der Straße Ecke Lünkenweg wohnte ein Milchmann, Pünjer, dieser hatte auch einen kleinen Hund, genannt Usköter, den ärgerten wir zu gerne mit dem Ruf: Usköter, Usköter! und dann schoss dieses Biest auf uns los und alle rannten und brachten sich in Sicherheit, hinter Haustüren und auf Laternenmasten oder entsprechende Bäume. Es war immer ein Heidenspaß und auch Nervenkitzel. Das rückwärtige Grundstück grenzte an das Flohkino in der Hamburger Straße und wir konnten im Garten an einer kleinen Mauer die Film-Musik hören. Sonntags gab es manchmal für uns in der Kindervorstellung viel zu lachen, denn für Kinder gab es nur Märchenfilme oder Pat und Patachon sowie Charly-Chaplin-Filme, ansonsten nichts Aufregendes. Ich hatte zu der Zeit um 1929 einen ersten Freund, Gerdi Köster, wir spielten viel zusammen und waren meist in seiner Wohnung, denn wir hatten nicht so viel Platz. Ich kann mich nur an 2 Zimmer erinnern, ich hatte im Elternschlafzimmer mein Kinderbett und wo Wolfgang schlief, weiß ich heute nicht mehr. Ich musste mittags noch meinen Mittags-Schlaf machen und weiß mich noch an das herrliche Gefühl zu erinnern, wenn beim Einschlafen so langsam die Welt um mich her ins nichts versank und alle kleinen Sorgen sich in Wohlgefallen aufzulösen begannen.
Einmal marschierte ein Betrunkener die Straße entlang und grölte immerzu: heil Moskau, Hitler ist ne Drecksau! es muss noch kurz vor der richtigen Nazizeit gewesen sein. Wolfgang ging dort dann schon zur Schule und hatte es sehr schwer. Er hat unter mütterlicher Anleitung sehr viel zuhause üben müssen. Ich saß dann oft in einer Ecke und spielte mit meinen Sachen und lernte dann vom zuhören seine Gedichte und konnte diese oft schneller auswendig als er.
Ungefähr 1930 muss dann mein Vater, der bis dahin bei der Firma Julius Thesdorp, Großwäscherei in Barmbek, als kaufm. Angestellter beschäftigt war, arbeitslos geworden sein, denn ich weiß noch genau, dass eines Tages unsere Möbel abgeholt wurden, wahrscheinlich Mietschulden und Pfändung, und wir mussten ausziehen. Zu der Zeit erinnere ich mich noch genau, dass es keine Wohnungsnot gegeben hat, denn an vielen Häusern war an manchen Fenstern ein großes weißes Schild angebracht, auf dem zu lesen war: Zu vermieten! Wir gingen oft zum Einkaufen auf eine Art Wochenmarkt, es standen am Dehnhaide einige Verkaufskarren meistens mit Obst und Gemüse, bei denen kaufte Mutti dann etwas ein und ich bekam dann als Belohnung fürs Tragenhelfen einen Apfel oder dgl. In dem Jahr durfte ich auch zum ersten Mal Radfahren auf einem geliehenen Fahrrad ohne Freilauf, ein sogenannter Dauerpedder, die Pedale drehten sich immerzu und man konnte sich ganz schön verletzen, denn solange das Fahrrad in Bewegung war, gingen die Pedale immerzu mit rauf und runter. Zuerst hatte Vater hinten beim Üben festgehalten und geschoben, dann, als es zu schnell ging, blieb er zurück und ich fuhr allein, zum Anhalten benutzte ich dann den Zaun entlang dem Osterbek-Kanal, der am Rande des Fußwegs angebracht war, hatte aber fürs erste genug und verschiedene Schrammen.
Wir zogen dann nach Hellbrook Neustraße, heute Bauernrosenweg. Der Vermieter hatte im Garten hinter dem Hause ein paar Schafe und hieß Hannes. Ich weiß noch, dass einmal die Schafe ausgebrochen im Garten hausten und die Frau aufgeregt ihren Mann rief: Hannes de Schoop! Hannes de Schoop! Nebenan in dem Nachbarhaus wohnte Kurt Ruff, der mein allerbester Freund und Schulkamerad wurde. Er hatte noch einen Bruder, der mit Wolfgang in die gleiche Schulklasse ging - so hatten wir beide die ersten Freunde in Bramfeld. Denn die Schule war die Volks-Schule Bramfeld und die gehörte damals noch zum Kreis Stormarn und nicht zu Hamburg. Die Schule war auch danach und vor allem die Lehrer. Wir zogen dann nochmal um, aber blieben in Bramfeld.
Die neue Anschrift lautete Hamburg 33 - Hellbrook, Hamburgerstr. 163. Hier habe ich meine ganze Schulzeit, 8 lange Jahre, gelebt und den größten Teil meiner Jugend verbracht. Ich kam erst mit 7 Jahren zur Schule, am 1.4.1933, und meine erste Lehrerin hieß Frl. Kind, der sehr gefürchtete Rektor Honko. Den Schulweg legten wir im wahrsten Sinne des Wortes spielend zurück, es ging immer die Hamburgerstr. entlang, nachdem wir zuerst auf Kurti Ruff und Hans Techentin, die den weitesten Weg hatten, gewartet hatten und mit Gerd Külper, der dazwischen an der Hambg. Str.wohnte, dann kamen aus der Rahnstr. und dem Maimoorweg und der Owiesenstr. und aus der Eichenstr. immer mehr Schulfreunde zusammen und so tobten, wir immer etwas im Sinn, zur Penne. Schule war bald immer von 8 Uhr bis 13 Uhr, in den ersten Jahren wohl etwas weniger, aber dann immer 5 Stunden jeden Tag.
Gegenüber der elterlichen Wohnung waren noch Kuhwiesen bis zur Bramfelder Kirche und Ecke Hambg. Str. u. Maimoorweg ein kleines Kornfeld. Hinter unserem Hause gehörte ein Garten zu unserem Mietrecht und wir haben dort viel gespielt und auch mal ein bisschen helfen müssen, aber meist viel Quatsch gemacht. 4 Jahre lang hatten wir in der Schule noch die alte Sütterlinschrift gelernt und dann kam die Umstellung auf Lateinische Schrift, was den meisten sehr schwerfiel. Ich hatte zu der Zeit schon am Englischunterricht teilgenommen und da mussten wir ja schon die lateinische Schrift lernen und so fiel mir die Umstellung nicht sehr schwer.
Hinter unserem Garten waren Rhabarberfelder, soweit das Auge reichte, eine Gärtnerei neben der anderen, die ganze Hamburgerstr. entlang und auch dazwischen, von den Nebenstraßen. Der Gärtner hinter uns hieß Leverenz, von der Owiesenstr. zu erreichen. Besagter Gärtner hatte auch viele Früh- oder Mist-Bete, die mit Glas abgedeckt waren. Und wir hatten einen riesigen alten Birnbaum im Garten, die Birnen waren steinhart und eigneten sich vorzüglich zum Werfen. Besonders effektvoll ging das, wenn man einen Stock anspitzte und mit einer aufgespießten Birne dann unheimlich weit und scharf werfen konnte. Es war sehr gut, so bewaffnet zu sein, denn es gab oft Straßenschlachten mit ganzen Horden von Jungs. Die Zeiten waren und blieben schlecht, es ging auf einen neuen Weltkrieg zu, alle hatten Arbeit und Brot, aber mein lieber Vater war inzwischen schon viel zu alt und hatte noch immer keine Arbeit und auf die Frage: was ist dein Vater? konnte ich immer nur antworten: arbeitslos. Wir bekamen Arbeitslosenhilfe oder wie das früher hieß: Wohlfahrts-Unterstützung. Ich weiß noch wieviel, denn ich war oftmals mit zum Abholen mit Vater mitgegangen. Es gab für uns 4 Personen für eine Woche 18.50 RM. Da hat dann Mutti versucht etwas zu verdienen und hatte es auch geschafft und wir brauchten nicht hungern. Das war so um 1938 und auch schon etwas früher, so etwa 1936.
Es war das Jahr der Olympischen Spiele in Berlin und wir waren alle begeisterte Sportler. Unsere Ferien (die großen im Sommer) verbrachten wir durchweg bei den Großeltern in Hagenow in Mecklenburg, wo die Großeltern eine schöne große Wohnung in einem Haus in der Bahnhofstr. Nr. 17 hatten. Die Großeltern waren schon Rentner und Tante Hedi führte ihnen den Haushalt und war unsere allerliebste Tante, denn sie sorgte so wie eine Mutter für uns, auch waren unsere Eltern nicht immer die ganze Zeit mit im Urlaub. Dort tobten wir den ganzen Tag herum, durften Tante Hedis Fahrrad benutzen und auch beinahe, alles was uns so einfiel. Zum Blaubeerpflücken fuhren wir mit Hedi in den Redefiner Forst und die ersten wurden dann verkauft und brachten so um 60 Pfennig pro Pfund, das besserte unser Taschengeld, das ansonsten sehr bescheiden war, etwas auf, wenn es auch sehr mühsam verdient war. Auch zuhause gab es eigentlich kein festes Taschengeld sondern fürs Einkaufen mal einen Groschen und fürs Fahrradputzen (nicht das eigene) auch mal 50 Pfennige. So konnte man sich bei Nachbarn und Bekannten ein paar Groschen verdienen. Für 10 Pf. gab es zehn Dauerlutscher, runde harte Bonbons oder 5 Stk. Rahmbonbons, sog. Kusentrecker, d. h. die blieben an den Zähnen kleben und beim gewaltsamen Öffnen des Mundes blieben oft die Plomben aus den Zähnen dran hängen.
Wir wurden so richtige Straßenkinder, lernten so richtig Hamburger Platt und auch alle anderen Dummheiten. Vater ging trotz seiner Arbeitslosigkeit meist morgens aus dem Haus und war wohl auf Arbeits-Suche und Mutter hatte zu der Zeit eine Büro-Stelle bei Fertsch und Laitz, einer alten Hamburger Im-und-Export-Firma und lernte damals noch englische Stenographie, um dort die erste Kraft zu werden und so war Ihr ganzes Leben, immer die erste Kraft und das hat sie auch immer von uns Mittelbegabten erwartet und ist dabei sehr enttäuscht worden. Als wir nach Bramfeld zogen, fuhr eine Straßenbahn, die Linie 9, nur bis zum Schützenhof in Barmbek, das war die später bis nach Bramfeld weitergebaute Rhabarber-Bahn. Oder vom Barmbeker Bahnhof fuhr eine Buslinie nach Bramfeld, aber anfangs gingen wir meist zu Fuß oder fuhren mit dem Fahrrad. Auch fuhr noch eine Straßenbahn, die Linie 1, nach Wandsbek. Endstation war bei Kähler (heute Otto Versand und Coca Cola Max Schmeling). Mit einer dieser Verbindungen konnte man in die Stadt kommen. in der Schule wurde nicht nur ich immer schlechter, sondern auch alle anderen und auch die Lehrer. Inzwischen war der Krieg ausgebrochen und die paar jungen und guten Lehrer wurden Soldaten und die schon pensionierten Lehrer und alle alten wurden auf uns losgelassen. Meine Eltern waren nicht mehr in der Kirche und auch wir Kinder sind ausgetreten und brauchten keine Religion lernen. Somit hatten wir oft eine Stunde früher frei oder brauchten morgens erst eine Stunde später zu kommen. Im Sommer ging es jeden Tag zum Baden ins Freibad Farmsen oder bis nach Ohlsdorf, oft zu Fuß, meistens aber mit dem Fahrrad, evtl. hinten drauf oder vorne auf der Stange (Eintritt für Kinder 10 Pf. und auch Bus oder Bahn kosteten für Kinder nur einen Groschen). Aber wir haben den Groschen meist gespart für Naschkram usw. Ich weiß noch sehr gut, auch mit Mutter z. B. bis nach Wandsbek oder mit Vater bis nach Barmbek zu Fuß gegangen zu sein, um das Fahrgeld zu sparen.
Als im September 1939 der Krieg ausbrach, nachdem schon die Ostmark (Österreich) und erst das Sudetenland und dann Böhmen & Mähren (Tschechei) okkupiert worden waren und ab 5:55 Uhr zurückgeschossen wurde, und nachdem der Polenfeldzug in 18 Tagen siegreich beendet war und in Wirklichkeit der Angriffskrieg auf Russland vorbereitet wurde, da ging ich in die 6. Klasse und war 13 Jahre jung, mit 10 Jahren kam man zum Jungvolk und wurde Pimpf mit braunem Hemd (ich hatte leider gar keins) und schwarzer Keilhose (Skihose), schwarzem Halstuch und mit einer schwarzen Jacke und Lederkoppel mit Schulterriemen und Fahrtenmesser mit Hakenkreuz drauf und auf der Klinge mit Blutrille die Inschrift Blut und Ehre. Na, das war was für uns Kinder. Einmal die Woche war Heimatabend und ab und zu am Nachmittag ein sog. Geländespiel, wobei dann die Roten gegen die Blauen zu kämpfen hatten. Das war schon richtige vormilitärische Ausbildung mit Zielansprache und Meldegängern und allen möglichen Übungen. Die Führer waren meist nur 1 Jahr ältere Schüler und mehr unsere Freunde als Vorbilder. Auch mussten wir reichlich viel singen, z. B. es zittern die morschen Knochen oder auch schwarzbraun ist die Haselnuss, und auch das Horst-Wessel-Lied, was ja später immer mit der Nationalhymne zusammen gesungen werden musste. Beim Schreiben merke ich schon eine ganze Weile, dass ich noch zu jeder Seite später eine weitere hinzuschreiben werde, denn mir fällt immer noch eine ganze Menge dazwischen ein. Nach dem Polenfeldzug hatte uns England den Krieg erklärt und wir marschierten in Holland und Belgien ein ohne Kriegserklärung, um den Engländern zuvorzukommen. Dann kam der Frankreichfeldzug und war in wenigen Wochen siegreich beendet und halb Frankreich war von uns besetzt. In Hamburg gab es zu der Zeit die ersten Flieger-Alarme, die Sirenen heulten ab und zu mal am Tage und meist bei Nacht, dann ging es in den Luftschutzkeller bis zur Entwarnung. Wir blieben meist im Garten oder vor dem Kellereingang und versuchten von dem Geschehen so viel wie nur möglich mitzubekommen. Es waren überall Scheinwerfer und auch Flak (Fliegerabwehrkanonen) aufgestellt und wenn dann ein feindliches Flugzeug im Scheinwerferlicht erfasst war begann die Flak zu schießen und ab und zu wurde dann auch so eine Vickers-Wellington oder welche Marke auch immer abgeschossen und wenns nicht zu weit entfernt war, am nächsten Tag besichtigt. Die Flieger ließen auch schon mal ein paar Bomben fallen und auch diese Zerstörungen wurden dann bald besichtigt, oft auch nur Bombenkrater auf freiem Feld, denn eine jede Kugel trifft ja nicht, wie es so schön heißt.