Nachkriegszeit
Hilku:
Wir haben Verwandte, Freunde und Bekannte verloren, teils sind sie an der Front gefallen, teils in der Heimat durch die Bomben umgekommen. Als der Krieg zu Ende war, war ich 17 ½ Jahre alt. Das ist nun schon so lange her, aber vergessen kann ich das alles nicht. Mein Vater ist gesund wieder nach Hause gekommen, aber zwei Brüder von meiner Mutter und 1 Bruder von meinem Vater sind nicht zurückgekommen.
Und dann war der Krieg vorbei, aber es wurde alles noch viel schlimmer. Es gab ja nun gar kein Deutschland mehr. Die Siegermächte (später zählte ja auch Russland zu unseren Feinden) teilten Deutschland einfach auf, in 4 Besatzungszonen und noch einmal Berlin in 4 Bezirke. England, Frankreich und Amerika bildeten nun "Trizonesien", der Rest wer russisch.
Das Leben ging weiter, ich hatte Arbeit, erst in einem kleinen Elektrobetrieb im ßüro, dann als Stenotypistin bei der Kriminalpolizei in Potsdam. Die Arbeit machte mir großen Spaß, aber dann kam wieder die Politik. Ich sollte unbedingt in die Partei eintreten, aber das wollte ich nun nicht.
Dann passierte das, was man heute Mobbing nennt. Keiner traute mehr dem anderen, man fühlte sich überall bespitzelt, ab und zu verschwand jemand. Da wurde ich zum Verhör gebeten. Da nahmen sie mich so richtig in die Mangel, ich hätte sogar Kriminalbeamtin werden können, wenn ich in die Partei eintrete. Als alles nichts half, sollte ich mich beim Polizeiarzt melden. Der schrieb mich krank. Auf meine Frage, was mehr denn fehlt, erhielt ich die Antwort, ich sollte viel schlafen und viel an die frische Luft gehen. Da fasste ich den Entschluss, in den Westen zu fliehen, wie es damals viele taten. Die Mauer und andere schwere Grenzbefestigungen gab es damals ja noch nicht. Meine Eltern waren natürlich nicht begeistert, wir kannten doch niemanden im Westen. Aber ich wollte lieber freiwillig in den Westen als gezwungenermaßen in den Osten. Ich war damals 20 Jahre alt. Ich packte die nötigsten Sachen und mein Geld und Papiere ein und zog los. Ich hatte Glück. Mit einigen anderen zogen wir durch den Wald bei Helmstedt und kamen also von der östlichen in die westliche Zone. Da war es auch nicht anders. Nur sie hatten anderes Geld. Ich musste also meine Habe 1 zu 7 eintauschen. So blieb nicht viel übrig. Bis dahin waren wir ja mit der Bahn gefahren, aber nun ging es per Anhalter weiter, egal wohin, Hauptsache weit weg von der Grenze. Mich verschlug es nach Hamburg.
Dort ging es mir auch schlecht, ich hatte keine Arbeit und vor allem keine Lebensmittelkarte. So etwas gab es im Westen damals ja auch. Ich schlug mich ziemlich mühsam durch, hatte dann aber das große Glück, Kindermädchen in einem englischen Haushalt zu werden. Dort brauchte ich keine Lehensmittelkarten, dann [die] bekamen ihre Lebensmittel aus England.
1949 war Wahl. Ich war inzwischen 21 Jahre alt, und durfte zum ersten Mal frei wählen. Dann bemühte ich mich wieder um Arbeit im Büro, was mit viel Glück auch klappte. Dann fand ich ein möbliertes [Zimmer] und später auch meinen Mann.
Auf die Frage, wie lange [der Krieg] unser Leben beeinflusst hat, kann ich nur sagen, dass man das alles nie vergisst, egal wie alt man inzwischen ist.
Diego:
In meinem "Tagebuch" gings bis zur Ausreise aus Dänemark, zu Fuß. Über den kleinen Belt ging schon eine lange Brücke und wir marschierten im Gleichschritt auf die Brücke und erlebten eine Überraschung. Die riesige Brücke fing an zu schwanken und einer schrie dann: ohne Tritt!! dann liefen wir vor Schreck auch schon alle durcheinander und die Brücke beruhigte sich wieder. Eine Regel, die wir lange verlernt hatten: niemals im Gleichschritt über eine Brücke marschieren, diese könnte zum Einstürzen gebracht werden.
Wir kamen dann bei Flensburg nach Deutschland und später in ein Lager bei Heide in Holstein. Dort mussten wir uns zu tausenden auf einer Wiese in schöner Ordnung aufstellen und unsere Sachen ablegen und uns bis auf Jacke und Hose ausziehen, es ging zur Entlausung in eine alte Scheune. Als wir wieder unsere Sachen holen wollten, waren die nicht mehr vorhanden. Einige Panzer waren kreuz und quer darübergefahren und wir hatten nur noch das, was wir am Leibe hatten. Somit kamen wir in ein Internierungslager und konnten uns aber frei bewegen. Ganz Schleswig-Holstein wurde zum Sperrgebiet und der Kaiser-Wilhelm-Kanal war die Grenze zur Freiheit. Zuletzt wurden wir nach Bad Segeberg gebracht, diesmal sogar mit Lastwagen und dort nach einigen Wochen aus der Wehrmacht entlassen, ich wurde wenige Tage zuvor noch zum Gefreiten befördert.
Am Entlassungstag hieß es, vor dem Lager warten LKW auf euch, die bringen euch nach Hamburg! Vor dem Lager waren keine Lastwagen und wir waren ja gut zu Fuß und machten dann auch noch die 30 KM bis nach Ochsenzoll, wo sogar die U-Bahn schon wieder fuhr. Es war ein schöner warmer Sommer-Sonntag, als ich in Bramfeld bei meinen Eltern wieder eintraf.
Und ich war noch immer Lehrling bei Fa. Dietrich und es kamen jetzt noch zwei schlimme Nachkriegsjahre, denn wir hatten den Krieg so schlimm verloren, dass gar kein Deutschland mehr übrig war. Deutschland war regelrecht gevierteilt worden und in die vier Besatzungszonen aufgeteilt worden. Es gab die amerikanische, französische, englische und russische Zone. Die Lebensmitterationen wurden bis auf 800 Kalorien herabgesetzt und ganze Fabriken abmontiert und wir sollten damit den angerichteten Schaden abbezahlen. Es hätte wohl 100 Jahre gedauert.
Im Ausland wollte man die Deutschen für alle Zeiten unschädlich machen. Das normale Leben begann ganz langsam wieder in Gang zu kommen, alle waren froh, dass der Krieg vorbei war, aber die Zeiten blieben noch lange schlecht. Ich musste noch meine Lehrzeit weitermachen und bekam jetzt monatlich 55.— RM. Dafür gab es auf dem Schwarzmarkt gerade mal 10 Zigaretten, ein Brot kostete dort 100,-- RM und ½ Pfund Butter 250.-- RM und ein Viertel Pfund Bohnenkaffee 150.-- Mark. Auf Marken gab es diese Sachen gar nicht und deshalb blühten der Schwarzhandel und die Tauschgeschäfte. Die alles dauerte von 1945 bis 1948, dann kam die erste Währungsreform und das alte Geld wurde ungültig und jeder Bürger bekam 60.—DM, 4O.-- bar und 20.-- aufs Sparbuch.
Verluste von Verwandten und Freunden hatte ich nicht zu beklagen, die Eltern und ihre Geschwister waren schon zu alt und deren Kinder noch zu jung, um in den Krieg ziehen zu müssen. Was die Folgen des verlorenen Krieges betr., hatten wir und das ganze deutsche Volk noch sehr lange kein normales Leben führen können. Die Städte waren großenteils zerstört und es gab eine große Wohnungsnot und es war auch keine richtige Arbeit für viele, da die meisten Fabriken auch zerstört waren. Die Besatzungsmächte nahmen uns den Rest auch noch weg, als Wiedergutmachung. Ich hatte zu der Zeit noch Arbeit und blieb auch später noch in der gleichen Firma. Bruder Wolfgang war, nachdem er aus dem Lazarett entlassen war, auch arbeitslos und Vater zu der Zeit auch schon wieder, seine Arbeitsstelle, die er im Krieg bekommen hatte, war den Bomben zum Opfer gefallen.
Ich hatte gerade meine Gehilfenprüfung bestanden und war kaufm. Angestellter. Mein Anfangsgehalt betrug 110.-- DM ( 10.-- Mark mehr als der Tarif war). Da ich noch zuhause wohnte, sollte ich davon noch die Eltern und Wolfgang mit versorgen. Da das unmöglich war und ich die Hilku schon kennengelernt hatte, und wir sowieso bald heiraten wollten, haben wir dann unsere Siebensachen zusammengepackt und sind zusammengezogen, in Hilkus Zimmer mit 12 QM. Als ich sie vorher schon mal besuchte, wohnte sie noch in der Klopstockstr. Unterm Dach bei ihrem ehemaligen Arbeitgeber und man hatte eine schöne Aussicht auf die Elbe und ein Stück vom Hamburger Hafen. Dort starteten in der Zeit gerade die großen Flugboote der Engländer im Rahmen der Luftbrücke zur Versorgung der eingeschlossenen, viergeteilten Stadt Berlin. Auch vom Hamburger Flugplatz starteten die sog. Rosinenbomber nach Berlin. Der kalte Krieg hatte die Russen, die in der Ostzone um Berlin herum stationiert waren, veranlasst, die Zufahrtswege nach Berlin zu sperren und dort wurde dann die Bevölkerung durch die Luft versorgt. Ein ganzes Jahr lang flogen die West-Alliierten über die 3 Luftkorridore nach Berlin.
In Amerika gab es den Morgenthau-Plan, der sah vor, Deutschland zu einem Agrarstaat zu machen, um nie wieder eine Gefahr für die Welt werden zu können, aber dann wurde doch ein zweiter Plan, der sog. Marshallplan verwirklicht. Es wurde in Deutschland viel Geld für den Wiederaufbau investiert und so langsam erholten wir uns wirtschaftlich und nach und nach wurde wieder aufgebaut und repariert und es begann das Wirtschaftswunder, alle Menschen in Deutschland brauchten alles, Wohnung, Kleidung, Lebensmittel usw. usw. das gab den Aufschwung, alle bekamen Arbeit und somit auch Geld und es begannen mit Fleiß und Kraft die guten Jahre. Hilku und ich, wir hatten beide Arbeit und verdienten Geld und konnten etwas sparen und nach langer Zeit eine eigene Wohnung auf Abzahlung statt Miete kaufen. Zu der Zeit waren endlich die schlimmsten Folgen des Krieges überstanden, 1957.