Mein lieber mein Vater

25-32

Als er im September 1944 von einer Granate verwundet wurde, wusste er schon ganz genau, dass die Deutschen den Krieg nicht mehr gewinnen konnten, weil sie auch unterwegs immer Tausende von halb verhungerten Flüchtlingen trafen. Er kam dann in ein Lazarett nach Bad Salzungen wo ihn seine Eltern einmal besuchen durften und von dort aus im Januar 1945 in eine Genesungsdivision nach Dänemark als Besatzer. Sein Bein war voller Splitter und fast steif und es heilte nur sehr langsam. Dann hörten sie in Kopenhagen von der deutschen Niederlage und wurden am 5. April 1945 zu Fuß nach Hause geschickt.

Als er wieder zu Hause war, konnte er wieder bei seiner Firma arbeiten und bei seinen Eltern wohnen. Er hat wohl noch ziemlich viel Glück gehabt, denn er hat keine Verwandten und Freunde im Krieg verloren. Mein Großvater hat zwar immer noch Granatsplitter im Bein, aber viele Leute haben viel mehr abgekriegt. Auch dass er noch sein Zuhause und seine Eltern hatte, war ein großes Glück. Meine anderen Großeltern haben beide ihre Wohnungen und viele von ihren Familien verloren.

Familie Bangis


Meine Omi arbeitete inzwischen als Kindermädchen. Sie las dann die Anzeige, die mein Großvater aufgegeben hatte. Sein Bruder und er hatten die Anzeige am selben Tag aufgegeben und so lernte mein Großonkel Wolfgang am selben Tag seine spätere Frau, Tante Anneliese, kennen. Leider ist er schon vor ein paar Jahren gestorben. Omi Hilku hatte in Hamburg ein möbliertes Zimmer [unleserlich] 1951 und meine späteren Großeltern unternahmen immer viel zusammen und fuhren auch viel zum Zelten in die freie Natur und als sie merkten, dass sie ein Kind bekamen, beschlossen sie zu heiraten.

Das hatten sie sowieso vorgehabt, aber eigentlich erst später, wenn sie schon eine eigene Wohnung gehabt hätten. Aber damals war es sehr schwer eine zu finden, weil noch immer nicht genug Wohnungen gebaut werden konnten weil dafür noch nicht genug Geld da war und die alten Häuser waren noch vom Krieg kaputt. Deshalb mussten viele Menschen als Untermieter zu fremden Leuten, die eine Wohnung hatten, ziehen und dort ein Zimmer mieten, so wie meine Großmutter. Untermieter hatten nichts zu sagen und mussten immer aufpassen, dass sie niemanden stören, weil sie sonst ganz leicht ihr Zimmer verlieren und auf der Straße sitzen konnten. Aber die alte Dame, bei der meine Omi wohnte, war nett und erlaubte, dass Opa Diego mit in das Zimmer zog als sie geheiratet hatten. Dann fuhren meine Großeltern in Urlaub und als sie zurückkamen, war die alte Dame gestorben. Sie hatten gehofft, dass sie nun die ganze Wohnung bekommen würden, aber die bekam ein Ehepaar, dessen Kind schon auf der Welt war, aber wenigstens mussten sie nicht sofort ausziehen.

Es gab damals ein Wohnungsamt, das den Vermietern mit vorschrieb, an wen sie eine Wohnung vermieten konnten, damit nicht Leute mit kleinen Babys oder alte Leute ohne Verwandte auf der Straße saßen. Das Zimmer meiner Großeltern war so klein (nur 12 q,), dass sie dort nicht einmal Platz gehabt hätten ein Kinderbett aufzustellen und die Küche und die Toilette mussten sie sich mit dem anderen Ehepaar teilen. Ein Badezimmer gab es nicht. Meine Omi schreibt: „Da bekam Vati von einem Kollegen den Tipp, daß wir ja in seinem Haus in die ausgebaute Dachgeschoßwohnung ziehen könnten. Das Wohnungsamt hatte auch hier Einwände, aber wir hatten Glück: die andere Partei wollte die Wohnung nicht, sie war zu abgelegen. Da wir zu der Zeit ja noch unser Motorrad hatten griffen wir zu. Die Wohnung bestand aus Schlafzimmer, 8 ½ qm, Wohnzimmer und Küche (insgesamt 25 qm). Wasser mussten wir von unten heraufholen, es gab in dem ganzen Haus nur eine Toilette. Aber wir waren für uns allein. Und wir hatten Platz für das Kinderbett. denn nun wurde unser Sohn geboren. 8 Monate blieb ich zu Hause, konnte mich also intensiv um das Baby kümmern. Pampers gab es damals noch nicht, man musste die Windeln aus Stoff noch per Hand waschen, und das unter erschwerten Umständen: Wasser heraufholen, mit dem Tauchsieder wärmen und die Windeln kochen.“ Meine Großeltern erzählten mir, dass sie mit meinem Vater ein ziemliches Problem hatten, als er erst ein paar Wochen auf der Welt war. Er wurde in der Klinik Finkenau geboren und als meine Omi entlassen werden sollte, fragte sie, was sie denn tun könnte, wenn sie mal nicht mehr genug Milch hätte. Aber die Ärzte beruhigten sie und meinten, dass das bei ihr bestimmt nicht passiert. Damals gab es eine „Wiegestunde“. Da mussten alle Mütter mit ihren Babys immer zur Untersuchung hingehen, ob sich die Kinder auch gut entwickelten und richtig versorgt wurden. Dort stellten sie fest, dass mein Vater immer weniger wog und fast verhungerte. Sie warfen meiner Omi vor, dass sie ihrem Kind nicht genug zu essen gab. Aber sie war sich keiner Schuld bewusst, weil sie es ganz oft anlegte und erst wieder wegnahm, wenn es absolut nicht mehr mochte. Da wurde festgestellt, dass sie immer nur ein paar Tropfen Milch hatte. Als sie ihn dann mit verdünnter Milch und Haferflocken dazufütterte, entwickelte er sich prächtig. Fertige Babynahrung gab es damals für normale Sterbliche noch nicht. Trotzdem mein Vater sich jetzt sehr gut entwickelte musste meine Omi noch monatelang mit ihm zur Kontrolle gehen. Weil sie bei der Wohnung in Niendorf den Garten mitbenutzen konnten war mein Vater jetzt immer viel in der Sonne und er bekam auch Karottensaft, so dass er ganz braun wurde. Bei der Kontrolle sagten sie dann immer „das Negerbaby kommt.“ Ich finde auch, dass er auf dem Bild ziemlich braun aussieht. Als mein Vater 8 Monate alt war, ging meine Oma wieder arbeiten. Sie arbeitete bei einer Versicherung im Büro, wie sie es sich eigentlich immer gewünscht hatte. Sie bekamen einen Kindergartenplatz mit Krippe am Niendorfer Marktplatz wo auch ihre Arbeit in der Nähe war. Mein Opa fand eine Arbeit als Lebensmittelausfahrer. Sie hatten große Schwierigkeiten zur Arbeit zu kommen, weil sie beide auf dem Motorrad fahren mussten und meine Oma dabei noch meinen Vater auf dem Schoß hatte. Das war bestimmt sehr gefährlich. Und dann brauchten sie dringend das Geld und mussten auch noch das Motorrad verkaufen. Jetzt mussten sie morgens und abends eine Stunde zu Fuß gehen, auch bei Schnee und Eis und mit meinem Vater im Kinderwagen.

Aber dann wurde alles für sie leichter, weil die Strecke dann von einem Privatbus befahren wurde und sie wieder mehr Zeit hatten etwas zu unternehmen. Über die Wohnung in Niendorf schreibt meine Omi: „Wenn der Schornsteinfeger kam, musste er durch unser Wohnzimmer klettern. Die Wohnung war ja nur ein besserer Dachboden ohne Heizung. Wir hatten einen sogenannten Kanonenofen, ein kleiner eiserner. Aber morgens konnten wir ihn nicht anheizen, denn ehe es warm wurde, mussten wir ja schon los. und abends gingen wir ins Bett, bevor die Stube warm wurde. Im Schlafzimmer gab es keine Heizmöglichkeit. Gewaschen haben wir uns in einer Schüssel, die in einem sogenannten Waschhocker befestigt war. Einmal in der Woche fuhren wir zum Hadermannsweg in Niendorf. Dort konnte man für eine Mark ein Wannenbad kaufen. Wir dachten ja, dass wir bald eine andere Wohnung bekommen könnten, aber es gab zu wenig Wohnungen in Hamburg, es war ja noch so viel kaputt. Aber wir hatten einen Bausparvertrag abgeschlossen, so dass wir nach sieben Jahren Niendorf eine Wohnung kaufen konnten. Wir waren selig. Nach all den Jahren Plage wurden wir nun entschädigt. Wir hatten ein Wohnzimmer mit Balkon, Schlafzimmer, Kinderzimmer, Küche und Bad, Zentralheizung, insgesamt siebzig Quadratmeter. Wir waren glücklich und wollten nie mehr wegziehen. Und doch haben wir gerade das gemusst.“