Erziehung
Diego:
Meine Eltern hatten beide eine höhere Schulbildung und waren eigentlich, wie man so sagte "bessere Leute ". Dass sie es im Leben eigentlich zu nicht allzu viel gebracht hatten, lag wohl an den schlechten Zeiten. Meine Mutter war eine sog. höhere Tochter, mit bester Schulbildung und auf verschiedenen Gütern im Mecklenburger Land als Hauslehrerin tätig. Sie sollte eine Aussteuer von 16.000.-- Reichsmark erhalten - leider war der Traum durch den ersten Weltkrieg zunichte gemacht worden.
Vater hatte das sog. Einjährige, was sicherlich einem Abitur gleichkam. Als es Krieg gab, wurde er Soldat und Leutnant und am Ende hatte er nicht viel überbehalten. Beide Großväter - Sambach und Bangis – waren Gutspächter bzw. Gutsverwalter, und die hatten keine großen Sorgen, aber auch da wurde durch den verlorenen ersten Krieg alles anders. Großvater Bangis wohnte noch im Amtssitz und war als Rentner noch Amtsvorsteher, Großvater Sambach lebte in Hagenow als Rentner und bekam außerdem noch ein Deputat an Lebensmitteln, somit gings den Alten auf dem Lande besser, als den Kindern in der Stadt. Als ich in die Schule kam, 1933, waren meine Eltern schon 47 bzw. 43 Jahre alt und ließen uns Kindern viel Freiheiten.
Sie hätten sich mehr um uns kümmern sollen, von wegen Schulbildung und so. Aber sie hatten eine Menge eigener Probleme, auch um uns alle satt zu kriegen. Für uns Kinder war die Freiheit natürlich wunderbar. Meine Eltern waren überhaupt nicht streng und es fehlte auch nicht an Liebe und Streicheleinheiten. Geschimpft wurde nur ganz selten und gehauen überhaupt nicht. Wenn Vater mal schimpfen sollte haben wir ihn meistens irgendwie zum Lachen gebracht und dann war schon alles wieder gut. Wir haben auch immer Besserung versprochen. Es klappte aber meistens nicht.
Die endlos erscheinende Schulzeit von acht Jahren ging langsam dem Ende zu und wir hatten schon den Kriegsanfang hinter uns und es gab schon mal Fliegeralarm und die Schäden wurden besichtigt Wenn die Störung nachts zu lange gedauert hatte, durften wir eine Stunde später zur Schule kommen. Es wurde immer nur vom Sieg gesprochen und keiner glaubte an einen sehr langen Krieg. Meine Eltern waren in der Ludendorffbewegung und sehr gegen Hitler eingestellt, man durfte aber nicht in der Öffentlichkeit darüber reden. Es hieß allgemein: halt den Mund, sonst kommst du ins KZ. Keiner wusste, was KZ war, aber alle hatten Angst davor. Später bekamen es alle zu wissen: KZ = Konzentrationslager, dorthin verschleppten die Nazis alle, die ihnen nicht wohlgesinnt waren, es sollten nur wenige überleben.
Hilku:
Meine Eltern haben uns sehr gut behandelt, aber auch mal streng, wenn es nötig war. Sie hatten sehr wenig Zeit für uns, da sie beide arbeiteten. Damals gab es noch die 48-Stunden-Woche. Auch am Samstag wurde bis mittags gearbeitet. Daneben war ja in Haus und Garten zu tun. Wir Kinder halfen auch dabei. Wir hatten ja auch Tiere: Hühner, Kaninchen, mal auch Enten und Gänse, sowie ein Schwein. Das hatten wir aber nur einmal, denn da wurden dann gleich alle Fleischrationen gekürzt.
Da für die Bevölkerung nicht, wie das heute ist, in jeder Mange Lebensmittel zur Verfügung standen, wurden Lehensmittelkarten verteilt. Darauf stand genau, wieviel Brot, Fett, Fleisch und überhaupt alle Lebensmittel gekauft werden konnte. Man musste also neben dem Geld vor allen Dingen diese Karten mitbringen, wo dann die einzelnen Sachen abgeschnippelt wurden. Manchmal wurde auch was gestrichen. Zum Ende des Krieges waren wir eigentlich immer hungrig und freuten uns, wenn wir mal was "nebenbei" ergattern konnten. Da kamen vor allem die Großstädter, bei uns die Berliner, zum Hamstern. Sie brachten Wertgegenstände mit, die sie noch hatten und tauschten sie bei den Bauern gegen Lebensmittel ein, damit ihre Kinder was zu essen kriegten. Dabei waren viele ausgebombt und hatten kaum was zu bieten. Eine brachte sogar Butter, die sie gegen Kartoffeln eintauschen wollte, denn von Butter allein wird man nicht satt. Es herrschten jedenfalls Zustände, die man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann.