1941, Ende März wurde ich dann aus der Schule aus der 8. Klasse entlasse und bekam eine Lehrstelle bei der Hamburger Großhandelsfirma A. Dietrich, Hbg. 26, Burggarten 1. Mein Chef war Herr Lothar Dietrich, ein alter Reserve-Offizier und sehr auf Ordnung und Disziplin bedacht. Wir Lehrlinge hatten nichts zu lachen, aber umso mehr zu arbeiten. Wir waren 3 Lehrlinge, einer im 3. Und einer im 2. und ich im ersten Lehrjahr. Ich musste natürlich die meiste langweiligste Arbeit machen und mit einer Ausbildung hatte das ganze wenig zu tun, wir waren nur billige Arbeitskräfte. Ich musste meist auf dem Warenlager helfen oder als Beifahrer mit unserem Fahrer auf Tour fahren oder Botengänge machen und wenn Büroarbeit angesagt war, dann nur die lange liegengebliebene Ablage (Registratur). Eine Besonderheit gab es noch, wir 3 Lehrlinge waren alle 3 der gleiche Jahrgang. Der im 3.Jahr war Werner Hundertmark, er kam mit 5 Jahren zur Schule und der im 2. Jahr war Richard Paasch, er war normal mit 6 Jahren zur Schule gekommen. Na und ich war erst mit 7 zur Schule und somit waren wir alle ein Schuljahr auseinander und doch fast gleich alt, Jahrgang 1925. Wir haben zusammen sehr viel Blödsinn gemacht und mit Werner Hundertmark bin ich die ganze Lebensarbeitszeit zusammengeblieben. Erst bei Dietrich, dann bei Hannemann und zum Schluss bei Schwarz und Hansen. Von Werner habe ich dann manches gelernt unter anderem auch unser Ketelklopper, was er wieder aus Rothenburgsort, wo er wohnte und auch viele Hafenarbeiterkinder, von denen er es gelernt hat.
So wie ich auf der Straße mein Plattdeutsch gelernt habe, denn zu Hause wurde nur hochdeutsch und richtig gesprochen, nur wenn wir nach Hagenow zu den Großeltern fuhren, begann unsere Mutter ein wenig mecklenburger Dialekt zu sprechen was immer ganz lustig für uns Kinder war.
Am Anfang meiner Lehrzeit wog ich genau 100 Pfund und war 175 cm lang. Da wir Azubis auch immer mit Lagerarbeit beschäftigt wurden erlebte ich so allerhand beim Bewegen von schweren Lasten. Es gab noch keine Gabelstapler oder Palettenhubwagen bei uns, sondern nur Sackkarren und Muskelkraft. Beim Abladen wurden schwere Säcke meist auf der Schulter bis zum Lagerplatz getragen und Kartons als kleine Stapel auf der Sackkarre ins Lager geschoben. Im Lagerhaus hatten wir dann einen Lastenfahrstuhl, in den die Waren hineingestapelt wurden, um dann im ersten oder zweiten Boden wieder per Hand oder Sackkarre an den endgültigen Lager- oder Stapelplatz gebracht zu werden. Unser Fahrstuhl war für 500 kg zugelassen und wurde elektrisch betrieben, mit einem Gleichstrom-Regler in jeder Etage, durch langsames Drehen in Gang gesetzt und mit einem Seil auf- oder abwärts gesteuert. Ein Zeiger an einem Seil zeigte den jeweiligen Stand des Förderkastens an, das Mitfahren war streng verboten und die Bedienung nur bei geschlossener Tür von außen möglich. Tür wurde auf der Bedienungsanleitung noch mit "TH" geschrieben, woran man das ehrwürdige Alter des Aufzugs erkennen kann. Die Firma hatte auch einen Lagerarbeiter, er hieß Martin und war ein richtiges Faktotum, schon viele Jahre in der Firma und mit allen anfallenden Arbeiten am Lager vertraut. Martin war um 1900 als Kutscher in die Firma gekommen und hat mit Karre zuerst die Kunden in der Stadt beliefert und später mit Pferd und Wagen bis nach Bergedorf oder Reinbek und Harburg die bestellten Waren zu den Tante-Emma-Läden gebracht und außerdem die Pferde morgens und abends versorgt und die Waren für den nächsten Tag bereitgestellt.
Ich selbst habe die Pferde nicht mehr gesehen aber die Einrichtungen waren im Keller noch vorhanden, als Lager für Weinkisten genutzt und der Platz hieß nach wie vor Pferdestall. Martin hatte mal mit einem Wochenlohn von 7 Mark angefangen, bekam jedes Jahr eine Mark Zulage und war zu meiner Zeit bei RM 33.-- pro Woche. Zu der Zeit kostete ein Pfund Margarine -.49 und ein Pfund Karbonade 1.10 RM, eine Tafel 100 g Schokolade -.25 bis -.35 RM, eine Straßenbahn-Monatskarte 10.--RM für Erwachsene, 1 Ltr. Milch -.29 und die Miete 30.—RM.
Als Halbstarker war ich ganz schön wild, ich erinnere mich gut an verschiedene Begebenheiten, so z. B. einmal als ich Kurt Ruff in der Neustraße besuchen wollte, fuhr ich mit dem Fahrrad zu schnell und wollte in die Str. einbiegen, auf den gegenüberliegenden Fußweg, auf dem aber einige Kinder zu Fuß entgegenkamen und um diese nicht zu Überfahren rammte ich den eisernen Gartenzaun der dort vorhanden war und flog über denselben, das Rad hatte einen doppelten Rahmenbruch und eine Acht im Vorderrad und war Schrott. Das war noch in der Schulzeit und später als ich mal aus der Lehrfirma nach Hause fuhr, mit dem Rad und sehr schnell, bog vor mir die Straßenbahn Linie 9 in den Schützenhof-Endstation-Wendepunkt ein und als ich hinter dem letzten Wagen auf dem Radweg ankam, kam mir doch auf demselben eine Frau entgegen die auch hinter der Bahn vorbei wollte und wir flogen beide auf den Fußweg und die Frau hatte ein Papierpaket mit Heringen bei sich, diese waren alle im Sande des Weges schön paniert und das Schimpfen war auf beiden Seiten groß, aber ich hatte keine Schuld, denn ich war ja auf dem Radweg, es war halt Pech. Auch morgens mit dem Rad in die Firma, war immer ein tolles Rennen. Ich habe oft einen jungen Mann mit Kettenschaltung überholt und der dachte wohl er habe ein Rennrad und versuchte nun wieder mich zu überholen. So kam man ganz schön abgekämpft in der Firma an und da ging dann die Arbeit erst richtig los. Beim Fahren mit der Straßenbahn war es auch meist nicht viel besser, erst mit der Linie 1 bis Wendemuthstr., dann umsteigen und mit der Linie 22 bis Warthenau und nochmal umsteigen in die 19 bis Wallstraße Ecke Bürgerweide. Dort war keine Haltestelle, aber die Bahnen hatten vorn und hinten noch einen offenen Perron und man konnte gut in der Kurve abspringen aber einmal stand dort ein Polizist um die Abspringer aufzuschreiben, da bin ich auf den zweiten Wagen wieder aufgesprungen und eine Station weitergefahren, dann aber schnell zu Fuß trab trab zurück um nicht zu spät zur Arbeit zu kommen, das konnte man als AZUBI sich nicht erlauben.
Während der Lehrzeit war jeweils einen Vormittag Berufsschule in der Schule am Lämmermarkt und später eine Zeitlang in der Schule Meerweinstr. und nach dem Unterricht mussten wir schnellstens in die Firma und unsere Arbeit wieder aufnehmen. Abends dann wie jeden Tag noch schnell die Post fertig machen und auch noch die Einschreib-Briefe zur Post bringen. Zu dem Zweck hatten wir ein Postbuch, in das die Briefe bzw. die Anschriften eingetragen wurden und dies wurde auf der Post dann abgestempelt. Da aber abends die Postschalter immer sehr belagert waren konnte man schon eine halbe Stunde zur Abfertigung rechnen. Aber wir Lehrlinge hatten ja nie Zeit und so hatten wir schnell eine sog. Poststelle ausfindig gemacht (ein Zigarren-Geschäft), wo wir im Vorbeifahren unsere Post abgeben konnten und am nächsten Morgen das Postbuch abgestempelt wieder abholen konnten und somit die Wartezeit bei der Post gespart hatten, aber immer das Argument: wir müssen noch zur Post hatten, um wenigstens einigermaßen pünktlich nach Hause zu kommen. Auch nutzten wir oft die lästige Wartezeit bei Behörden um zwischendurch schnell mal in ein Tages-Kino zu gehen und dann schnell wieder zur Behörde zurück, um als letzter dann noch abgefertigt zu werden. Es hatte dann eben so lange gedauert. Meist ging es hierbei um das Abholen der Benzinmarken für unseren LKW, nur einmal hatten mein Kollege Richard und ich Pech, ich sollte ihn in der Warteschlange ablösen und als wir aus dem Kino kamen, war die Behörde schon geschlossen und eine der dort Beschäftigten hatte die Benzinmarken für unsere Firma selbst zur Firma gebracht, weil sie in der Nähe wohnte, und wir mussten zum Chef und es gab einen strengen Verweis. Wegen der zunehmenden Luftangriffe musste in der Firma jeden Abend eine Brandwache übernachten um evtl. zu löschen, wenn eine Brandbombe das Lagerhaus treffen sollte. Es waren die unterschiedlichsten Zusammenstellungen des gesamten Personals jeweils zu zweit auf Notbetten im Büro die Nachtwache zu machen, am nächsten Tag durfte man dann nach der Mittagspause nach Hause gehen. Oft hatte ich mit meinen Lehrkollegen die Nachtwache und dabei haben wir oft auf dem Firmendach bei Fliegeralarm dem Geschehen zugesehen und nur wenns brenzlig wurde den Keller aufgesucht.
Vater hatte nach vergeblichen Versuchen als Vertreter mit Kaffee-Mischungen, Bohnerwachs und Buchhaltungsverfahren (Tailorix Durchschreibe-System), was leider alles nicht viel außer Laufereien einbrachte, noch immer keine richtige Arbeit bekommen und sogar eine kleine Fabrik erworben und die Erzeugnisse selber von Laden zu Laden zu verkaufen versucht. Wir Kinder durften auch mal bei der Produktion mithelfen, es wurde Bohnerwachs gekocht und in Dosen abgefüllt. Der Aufwand hat sich aber überhaupt nicht gelohnt, es war am Ende nichts dabei übrig. Dann bekam Vater eine Buchhalter-Tätigkeit bei Fa. Hoop-Obstsafterei, aber die machte es auch nicht lange , so dass unser Vater wieder suchen musste und auch etwas fand, bei Fa. Hermann Rief, techn. Fette, dort blieb er bis diese Firma bei den Bombenangriffen Juli 1943 zerstört wurde. Mutter hatte auch neue Arbeit, nachdem die Exportfirma Laitz schließen musste, bei der Argentrixin-Fabrik Eugen Rüder Wandsbek. Dort war sie fast bis Kriegs-Ende.