Mein lieber mein Vater

Kriegsdienst

Nachdem wir Klamotten bekommen hatten und unser Zivilzeug zurückgeschickt war, waren wir recht kriegerisch anzusehen, es war ja schon 5 Jahre Krieg und wir bekamen lauter alte und abgelegte Uniformen und Ausrüstungen zugeteilt und so waren wir bald ein ziemlich verwahrloster Haufen und wurden entsprechend gescheucht. Wir waren meist alle erst 18 bis 20 Jahre alt und sollten noch den Krieg gewinnen helfen. Besonders der Jahrgang 1925 "Deutschlands letzte Hoffnung" na, Prost.

Nach wenigen Wochen "Grundausbildung " rechts um, links um, kehrt-marsch, Gewehr über und Gewehr ab und dergl. und auch als Küchenhilfe zum Kartoffelschälen abkommandiert, sollten wir nach Dänemark zur weiteren Ausbildung kommen und zu dem Zweck gings per Bahn über Lübeck mit einer Pause in der Clemens-Str. am Hafen weiter nach Warnemünde um von dort mit einer Fähre oder einem Dampfer nach Dänemarkgebracht zu werden. Aber es war plötzlich wegen Minengefahr dann nicht möglich über die Ostsee zu kommen, auch wegen Fliegerangriffen auf deutsche Schiffe ging es dann per Bahn wieder über Lübeck und Flensburg nach DK und zwar bis Esbjerg und dann mit der Fähre auf die Insel Fanö. Dort lernten wir das schöne Lied: eine Insel zum Schleifen erkoren, ist Fanö, ist Fanö, wer sie kennt, ist für alle Zeiten verloren, auf Fanö, auf Fanö. Und da hat man uns so richtig nach Strich und Faden geschunden, wie man sich so ein Straflager für Sträflinge und Schwerverbrecher vorgestellt hat. Morgens um 6 Uhr gings schon los, Sachen-Appel, bis zu den Socken und Unterhosen, und wehe es war irgendwo ein Loch oder ein Fleck, oder sogar ein fehlender Knopf, dann gabs Strafdienst in verschärfter Form und dort lernten wir dann auch einen neuen Vorgesetztendienstgrad kennen, einen Obersoldaten. Das war unser Stubenältester, der alle Schikanen von oben an uns weiterzugeben hatte. Wenn der uns im Weg stand, mussten wir im Zimmer strammstehen und sagen: bitte Herrn Obersoldat vorbei gehen zu dürfen. Nach dem Frühstück ging es mit Gepäck und Stahlhelm, manchmal auch mit Gasmaske einmal quer über die ganze Insel ca. 12 KM zum Exerzieren und auf dem Weg immer der Oberste. Es war ein Herr Hauptmann auf einem Pferd vorweg oder nebenher, oft auch am Schluss der Kolonne und notierte alle Zurückbleibenden, die sich dann später zur Sonderbehandlung beim UVD (Unteroffizier vom Dienst) zu melden hatten.

Ich hatte in den ausgelatschten Stiefeln schon bald dicke Blasen an allen Füßen und die wurden dann mit Stopfnadeln oder dergl. von uns aufgepiekst. Damit man wieder laufen konnte, bloß nicht krank melden, denn denen gings meist noch viel schlechter, denn die wurden als Drückeberger behandelt. Nach dem Rückmarsch von wieder 12 Km. gab es Mittagessen, aber da wir immer zu spät zurück waren, gabs meist nur kaltes Essen und um 13 Uhr gings schon wieder in die nähere Umgebung zum Geländedienst, die Dünen rauf und runter, das Gewehr immer dabei und zum Schluss war alles voller Sand und Dreck. Das ging immer bis nach 17 Uhr, dann war Revierreinigen und Abendbrot. Danach war Putz- und Flick-Stunde und da nächsten Morgen wieder Sachenapell war, mussten wir die ganze Zeit unsere Klamotten und Waffen reinigen, um dann um 22 Uhr todmüde schlafen zu gehen. Das ging 6 Wochen lang bis Mitte November 1943. Dann kam die Sensation. Es wurden Freiwillige für den Einsatz an der Ostfront gesucht und wir meldeten uns alle geschlossen zur Front.

Unsere Vorgesetzten bettelten regelrecht es sollten doch wenigstens ein paar von uns dort bleiben, auch als Ausbilder für die nächste Gruppe, aber wir sagten uns, schlimmer als hier auf Fanö kann es auch an der Front in Russland nicht sein. Und da mussten sogar unsere Führer alle mit an die Front, sie kamen aber nicht mit uns zusammen dorthin, denn man hatte wohl Angst, dass wir uns an ihnen vergreifen würden und das hätten wir sicher auch in verschieden Fällen getan. So ging dann alles sehr schnell, Abmarsch per Fähre und von Esbjerg mit der Bahn nach Hamburg-Wentorf, dort wurden wir für Russland zusammengestellt. Die lieben Eltern konnten uns auch nochmal besuchen, an einem Nachmittag, und dann gings in Güterwagen, immer 40 Mann in einem Vieh-Wagen mit Bänken und Stroh drinnen, in genau 45 Tagen mit vielen Pausen auf Nebengleisen und kleinen Stationen, über Ostpreußen, Polen, Grenzstadt Brest-Litowsk nach Russland hinein, bis nach Bobruisk am Dnjepr. Dort kamen wir in einen riesigen Backsteinbau, eine ehemalige russische Kaserne, eiskalt und voller Wanzen, unsere 3 Etagenbetten standen mit den Füßen in Petroleum-Schalen, um die lieben gefräßigen Tiere von uns abzuwehren, aber wir waren bald alle zerstochen und da die Waschgelegenheiten sehr beschränkt waren und auch keine Heizung vorhanden war, hatten wir auch bald Läuse und es ging uns nicht besonders. Dann hörten wir nachts, wenn alles ruhig war, schon den ersten Geschützdonner und sahen am Horizont das Blitzen von Granaten und merkten, die Front kam immer näher. Am Tag darauf mussten wir am Flussufer vor der Stadt Verteidigungsgräben ausheben und auch nachts dort Stellung beziehen. Es kam aber an der Stelle zu der Zeit noch zu keiner Feindberührung und wir wurden zum Schutz der Bahnstrecke gegen Partisanen an dieser Hauptnachschubbahnlinie eingesetzt. Jetzt schon als vollwertige Soldaten, obwohl wir immer nur die 08/15-Ausbildung erhalten hatten. Aber jetzt machte sich das schon beim RAD Gelernte bezahlt. Wir hatten jetzt Handgranaten und Maschinengewehre, Pistolen und Karabiner, sogar einige Maschinenpistolen, aber sonst von nichts ne Ahnung. Wir wurden auf viele Stützpunkte entlang der Bahnstrecke verteilt, da gab es kleinere und größere. Ich kam auf einen größeren, wie ein Indianerfort gebaut, Palisaden und Wachttürme, in der Mitte ein Blockhaus. Wir hatten alle 2 Stunden Dienst, immer 2 Stunden Wache und 2 Std. Ruhe, Tag und Nacht. 4 Doppelposten an den 4 Ecken und ein Doppelposten immer auf einem Rundgang von Turm zu Turm. Außerdem noch einen Doppelposten auf den Geleisen der Bahn bis zum nächsten Stützpunkt und zurück. Von diesen sind oft manche nicht zurückgekommen, von Zügen überfahren oder von Partisanen umgebracht. Kleinere Stützpunkte wurden auch von Partisanen erstürmt und abgebrannt. Tot, aus.

Als ich eines Tages von einer Streife zurückkam, bei der ich wieder einmal des Nachts habe die Hähne krähen hören, mit solchen Schreien haben sich die Partisanen entlang der Bahnstrecke in den Wäldern verständigt und wir haben vom Bahndamm dann mit ein paar Schüssen in die Richtung uns etwas Mut gemacht, wenn da welche auf uns gelauert hätten, es wäre uns wohl schlecht gegangen, denn im Nahkampf im Dunkeln hatten wir schmächtigen Kerlchen wohl keine Chance. Nun als ich zurückkam erzählte man mir es hätte jemand für die Ausbildung zu Funkern geworben und so versuchte ich auch noch meine Bewerbung loszuwerden, und es klappte dann auch. Als kleine Vorprüfung musste man das Alphabet eine Minute nach der Stoppuhr in einzelnen Buchstaben aufschreiben und wenigstens 4 mal von A-Z alles hinschmieren. Das hatte ich ja leicht geschafft und wurde einige Tage später mit ca. 12 Kameraden in Marsch gesetzt per Eisenbahn vom nächsten Haltepunkt gings nach Smolewitschi bei Minsk. Ein großer Ziegelbau, noch nicht ganz fertig, aber bewohnbar, Heeresgruppen-Nachrichten-Schule. Dort lernten wir alle in 6 Wochen das Funken mit Tornisterfunkgeräten und Sprechfunk, in einem Klassenraum lernten wir dann über Kopfhörer das Morsen. Die richtige Funkerausbildung hätte normaler weise 2 Jahre gedauert, aber so viel Zeit hatte keiner mehr. Es war Weihnachten 1943/44. Ende Januar war die Ausbildung abgeschl. und je nach erreichtem Können wurden wir auf die verschiedensten Waffengattungen verteilt, die Besten kamen zur Luftwaffe, ich kam zur Artillerie und der Rest kam zur Infanterie. Bei der Funkerschule gabs auch eine Sauna, und dort habe ich das erste und einzige Mal im Leben fast jeden Abend die Saunas benutzt. Es stank dort zwar scheußlich nach Schweiß und Schmutz, denn mit Waschgelegenheit war nicht viel, Hauptsache ordentlich schwitzen und hinterher im Schnee rumtoben. Aus dem Soldaten wurde nun bei der Ari ein Kanonier, obwohl ich vorher niemals eine Kanone gesehen hatte. Bei der Luftwaffe hieß man Flieger, bei der Marine Matrose, bei der Infanterie Schütze und ich nun eben Kanonier, alle der gleiche unterste Rang: Soldat.

Ich kam zur Panzerdivision und dachte zu den Panzern. Ich wusste ja nicht, dass auch in einer Panzerdivision Artillerie und Infanterie vorhanden waren. Na, ich kam zu den Kanonen, als Funker, genau zur 7.Batt.Pz.Art.Reg.116 - 5 Pz. Divi.  Die Batterie, wie die Kompanie bei der Ari heißt, hatte 4 Langrohr-Kanonen, 10,5 cm Kanonen. Diese konnten über 20 KM weit schießen und standen so in etwa 8 - 10 KM hinter der HKL ((Hauptkampflinie). Die Bttr. war vollmotorisiert, d. h., wir hatten über 70 Fahrzeuge, vom kleinen Kübel-PKW  über Muni-LKW bis zu 12 To. Zugmaschinen mit Ketten und noch Schützenpanzer als vorgeschobene Beobachtungstelle. Fast alle Fahrzeuge (außer LKW) mit Funk ausgerüstet und ein spezieller Funkwagen für überregionalen Funkverkehr. Es gab nur Zelte und bei längerem Verweilen an einem Ort wurden Bunker in die Erde gegraben oder, wenn Häuser in der Nähe waren, wurden auch diese benutzt. Die meisten wohnten auf ihren Fahrzeugen in den Führerhäusern, mein Platz war auf der Ladefläche eines Munitions-LKW, Henschel, 3 Achser. Da die Muni-Kisten schwer waren, war nur der Boden des LKW ca. ½ Mtr. bedeckt und noch genug Platz für meine Klamotten.

Wenn ich heute zurückdenke kann ich mich nur selber wundern, wie naiv und ahnungslos man doch war. Mein neues Zuhause war ein LKW mit ca. 50 Munitionskisten voller Granaten und Kartuschen. Nachdem wir 4 Neuen uns beim Spieß gemeldet hatten, wurden wir dem Herrn Hauptmann (Batterieführer) vorgestellt und nach 10 Minuten dem Nachrichtenfeldwebel anvertraut. Die Funker und Fernsprecher hatten sich in der Nähe des Funkwagens aufzuhalten und wurden je nach Bedarf zu entsprechenden Arbeiten oder Diensten eingeteilt. Da wir 4 Neuen als Infanteristen ausgebildet waren hatten wir noch eine Menge zu lernen. Die Feldwebel hießen hier Wachtmeister, die Soldaten Kanoniere und es herrschte eine saloppe Stimmung und sehr gute Kameradschaft. Nur mussten alle Befehle sofort und gründlich ausgeführt werden. Dass ich jetzt an der Front war, merkte ich erst als die eigenen Kanonen anfingen zu schießen. Der Abschussknall war so laut und ungewohnt, dabei war der Tross, bei dem wir uns erstmal befanden, noch ca. 500 Meter hinter der Geschützstellung in einem kleinen Wäldchen untergebracht. Da ich bei einer vollmotorisierten Einheit angekommen war, hatte jede spezielle Gruppe ihre eigenen Fahrzeuge.

Insgesamt habe ich einmal 73 Fahrzeuge gezählt. In dieser Batterie von ca. 80 Mann waren nur wenige Offiziere, meist Feldwebel und Unteroffiziere, ansonsten Gefreite und Obergefreite. Alle lebten in Zelten und auf oder in den Fahrzeugen. Wir jungen Spritzer wurden noch ein wenig von den älteren Kammeraden belächelt, aber nach dem ersten Einsatz gab es keine Unterschiede mehr, auch nicht mit den sonst so sehr gefürchteten Unteroffizieren. Es ging alles nur noch per Du, außer mit den Offizieren. Da hieß es noch immer Herr Leutnant oder Hauptmann. Der erste Einsatz ließ nicht lange auf sich warten. Befehl!! Bangis und Keller! fertigmachen zur B-Stelle! Funkgerät und Akkus abholen und los gings mit dem Kübelwagen. Unser Hauptmann Damm war mit von der Partie. Er begrüßte uns mit: na, Jungs, alles klar? na denn wolln wir mal. Abfahrt Richtung HKL (Hauptkampflinie). Nach 6-7 KM aussteigen, Feindeinsicht, zu Fuß gings weiter. Ein Bunker mit Ausblick über die Schützengräben der Infanterie und das davor gelegene Niemandsland. Der dort befindliche Hauptwachtmeister mit seinen Funkern machte eine kurze Meldung und wir Neuen tauschten mit den abgelösten Funkern ein paar Erfahrungen und Fragen zur Lage aus. Die Funkgeräte wurden abgelegt und es gab eine Telefon-Verbindung zur Batteriestellung. Wenn eine Stellung einige Tage Bestand hatte wurde ein Kabel verlegt und ein Feldfernsprecher aufgestellt.

Als erstes wurde nun die Leitung überprüft, eine Kurbel am Gerät musste gedreht werden, dann sollte es am anderen Ende klingeln und sich derjenige melden. Es klappte auch hier sofort und es meldete sich einer mit den Worten: hier Monika 1 bitte kommen. Wir waren heute Monika 2 und meldeten uns auch so. Text: Leitungsprobe! Ende. In der B-Stelle (Beobachtungsstand) waren an der Seite einige Holzgestelle zum Schlafen und ein roh gezimmerter Tisch mit einigen Hockern. Die Wände aus Lehm und Sand wie beim Ausschachten entstanden und die Decke aus Balken, Stämmen und Brettern mit Reisig abgedichtet und mit Erde bedeckt. Unser Hauptmann, den wir alle nur Chef nannten, war dann für eine Stunde verschwunden, er war bei dem nächsten Kompaniegefechtsstand, um sich über die genaue Lage zu informieren. Als der Chef wieder zurück war, wollte er eine Verbindung zur Batteriestellung. Also, Kurbel drehen und melden und Feuerkommando durchgeben: Erstes allein einen Doppelzünder auf Feuerraum Anton, Feuerbereitschaft melden (Eine Kanone wurde etwas abseits der übrigen 3 Geschütze aufgestellt um dem Feind durch den Abschussknall oder Blitz kein rechtes Ziel zu bieten.). Nach der Bereitmeldung hieß es von uns: Feuer! und dann konnte der Schuss beobachtet und weitere Kommandos gegeben werden. Wenn sich in der Landschaft etwas bekämpfenswertes ergab, wurde mit den Kanonen geschossen und später musste dann die Erfolgsmeldung durchgegeben werden: feindlicher LKW oder MG-Stand oder feindlicher Infanterieangriff zerstört oder abgeschlagen. Letzte Meldung dann: Feuer einstellen.

Ein Tag an er Front war aber leider nicht immer so ruhig dieser erste, nachts begann der Iwan mit sogenanntem Störfeuer die ganze Gegend zu beschießen, und irgendwo wurde auch mal etwas getroffen. Wenn dann unsere Telefonverbindung unterbrochen war, musste einer los und die Leitung flicken, nicht immer gesund bei feindlichem Beschuss. Der zweite Mann musste solange die Funkverbindung herstellen und aufrechterhalten. Die Verpflegung kam nur nachts mit dem Kübelwagen oder Kettenkrad und oft auch die letzte Strecke zu Fuß, für jeden ein Kochgeschirr voll meist mit kaltem Essen und auch sogenannte Kaltverpflegung, Brot und Butter und Wurst oder Käse. Es war Februar 1944 und saukalt, ich hatte von zuhause ein Tischmesser mitbekommen, es war immerhin aus Stahl und hatte einen Horngriff, aber ich hatte es beim Butterschneiden zerbrochen, so kalt war diese in der Butterdose und dann half nur noch das Seitengewehr. Ansonsten hatte man nur das Wehrmachtsbesteck aus Klapplöffel und Gabel, an Messer kann ich mich nicht mehr erinnern.

Nach der B-Stelle kam bald die erste V.B. (vorgeschobene Beobachtungstelle). Diese wurde bei der Infanterie im Schützengraben eingerichtet und bestand nur aus einem Deckungsloch für jeden und einem Beobachter, meist ein Feldwebel und uns zwei Funkern. Weil die Verbindung nur über Funk möglich war und unsere Feldfunktornister-Funkgeräte nur eine Reichweite von 8 KM hatten, wurde eine Zwischenstelle auf halber Strecke zwischen Feuerstellung und VB-Stelle eingerichtet. Diese bestand aus einem Schützenpanzer (SPW), besetzt mit einem Fahrer und zwei Funkern. Die Übermittlung der Funksprüche dauerte dadurch etwas länger und konnte bei günstigen Bedingungen auch mal übergangen werden. Es hörte sich dann der Funk etwa so an: zwo für drei kommen, hier zwo bitte kommen, ich habe einen Spruch für eins. Dann kam die Meldung und wurde weitergegeben und mit der Antwort gings genauso. Drei war der VB, zwei war die Zwischenstelle und eins war die Batteriestellung. Nach wenigen Einsätzen in der HL hatten wir Funker das Schießen uns abgeguckt und konnten es bald besser, als Neue von der Kriegsschule. Es kamen manchmal Leutnants zu uns, die waren nicht viel älter als wir selbst und hatten von nichts eine Ahnung. Meist mussten wir zu Fuß nach vorne zum VB laufen um die Kameraden abzulösen. 8 bis 10 KM durch Schnee und Matsch mit Funkkiste und Akku (die hießen damals Sammler), Karabiner, Gasmaske und Patronengürtel ganz schön bepackt und oft von feindlichen Schlachtfliegern bedroht oder von Heckenschützen und auch mal von Partisanen beschossen. Auch die feindliche Artillerie hat oft weit ins Hinterland hinein die Nachschubstraßen beschossen. Auch habe ich erlebt, dass feindliche Panzer dort waren, wo eigentlich die vorderste Linie unserer Front sein sollte. Denn was wir Jungen ja gar nicht so genau wussten, die deutsche Front war ja schon lange nur noch im Rückzug begriffen.

Der Frontalltag wurde zur Routine und nur wenige Ereignisse blieben mir sehr deutlich im Gedächtnis. Einmal waren wir zwei Funker auf dem Weg zur VB-Stelle um die Kameraden abzulösen und suchten die vorderste Linie. Wir hatten den Weg verlassen und gingen über ein Feld zu einem Heuschober, bei dem einige Soldaten zu sehen waren. Diese winkten uns etwas Unverständliches zu aber als wir bei ihnen ankamen, sagten sie, es hätte hier Feindeinsicht. Wenige Minuten später begann eine feindliche Pak auf uns zu schießen, der erste Schuss zu kurz, der zweite zu weit, da waren wir aber schon losgerannt, denn der dritte Schuss saß mitten in dem Heuschober und einige wurden verwundet. Wir suchten dann weiter unsere VB-Stelle. Ein anderes Mal waren wir mit vielen anderen Soldaten auf dem Rückmarsch, als wir Fußgänger fast von einem Panzerspähwagen überholt wurden. Dieser entpuppte sich leider als russisches Fahrzeug und begann mit plötzlichem MG-Feuer auf uns zu schießen. Alle rannten auseinander, der Spähwagen konnte auf dem Weg wenden und verschwand mit ständigem MG-Feuer in der Dämmerung, woher er gekommen war. Einige Ausrüstungsgegenstände waren zerstört worden, aber sonst ist niemand zu Schaden gekommen. Der geordnete Rückzug konnte fortgesetzt werden.

Meine Division wurde oft in neue Stellung gebracht, wo der Feind die Front schon durchbrochen hatte, und wir sollten dann die Lücke wieder schließen. Es gelang auch oft und dann ging es wieder nach vorn zur VB-Stelle wobei wir einmal von einer Batterie Nebelwerfer von hinten zufällig beschossen wurden und wir zwei Funker auf dem Acker uns in die Furchen pressten und wenn auch nicht beteten, aber fürchterlich fluchten und glaubten, unser letztes Stündlein hätte geschlagen. Die Wirkung der Nebelwerfergranaten war aber nicht so sehr zerstörerisch, wie wir immer gedacht hatten, wir kamen jedenfalls unverletzt davon. Nachdem Schnee und der Kälte kam die Schlammzeit, Fahrzeuge blieben haufenweise im selbigen stecken und sogar ein Fußmarsch ging nur sehr mühsam und langsam vorwärts. Einmal waren wir 2 Funker nach der Ablösung auf dem Rückweg zur Feuerstellung auf dem Matschweg so stecken geblieben, dass wir immer einen Gummistiefel nach dem nächsten aus dem Matsch ziehen mussten. Als wir so langsam an einer Waldschneise vorbeikamen, wurden wir plötzlich mit einem MG beschossen. Aber die Schüsse gingen viel zu hoch über uns hinweg und wir hätten auch nicht in die tiefen vollen Gräben uns in Sicherheit bringen können, wir stapften einfach Schritt für Schritt weiter durch den Matsch. Bei der Rücknahme der Front wurde unsere Batterie schon früher zurückverlegt als die Infanterie und da wir als VB bei den Schützen (Infanteristen) stationiert waren, hatten wir oft keine Verbindung mehr zur Feuerstellung. Um den Rückzug zu decken, ging unsere Batterie dann oft auf freiem Feld in Stellung und wenn dann die Verbindung wieder hergestellt war, konnte auch wieder geschossen werden.

Bei so einer Gelegenheit standen unsere Kanonen direkt an einer Straßengabelung und feuerten pausenlos, da erschienen hoch am Himmel ca. 10 große Flugzeuge und hatten unsere Richtung. Solche hatten wir im ganzen Krieg noch nicht gesehen. Als diese Flugzeuge dann auch noch viele kleine silberne Bomben fallen ließen war uns klar, die meinen uns. Wir verkrochen uns so schnell als möglich in die wenigen Deckungslöcher die vorhanden waren. Da begann es auch schon um uns herum zu krachen und die Bomben schlugen direkt zwischen uns und unseren Fahrzeugen ein und es war ein Krater neben dem nächsten. Und o Wunder keinen hat es erwischt und kein Fahrzeug war ernstlich beschädigt. Die Stellung wurde aufgegeben und der Rückmarsch ging weiter, vorwärts Kameraden, wir müssen zurück, war bald ein geflügeltes Wort.

Einmal wurde ich zu einem Stoßtrupp als Funker eingeteilt und wir sollten einen Weg zurück durch die feindlichen Linien erzwingen. Es war mitten in der Nacht und wir kamen gut voran, die Funkverbindung klappte auch und dann kam ein Gewitter, ein ganz normales Gewitter. Die Funkverbindung wurde immer schlechter, aber bei Blitz und Donner habe ich doch alle Meldungen durchgeben können. Der Weg war frei für den Rest der eingeschlossenen Truppe. Einige Tage später bekam ich für den Einsatz das Eiserne Kreuz. Unsere Truppe war immer auf dem Rückzug aus Russland und eines Tages konnten wir die Ortsnamen lesen, wir waren schon in Ostpreußen angekommen, die deutschen Menschen, die dort gelebt hatten, bildeten lange Flüchtlingskolonnen und keiner wollte den Russen in die Hände fallen. Unsere Batterie wurde oft eingesetzt um andere Einheiten, die vom Feind eingeschlossen waren, zu befreien. Den Rückzug nannte man Frontbegradigung und jeder kleine örtliche Gegenangriff wurde zum Sieg. An den Sieg glaubte schon lange keiner mehr, aber weglaufen ging auch nicht, das war Fahnenflucht und Volksverrat und wurde mit dem Tode bedroht. Weit hinter der Front waren die "Kettenhunde" postiert, Soldaten der Feldgendarmerie, mit einem Blechschild um den Hals, darum Kettenhunde, die griffen alle auf, die keinen Marschbefehl vorweisen konnten.