Mein lieber mein Vater

TK 06

Streiche

Diego:

Richtig schlimme Streiche habe ich eigentlich nicht verbrochen, aber zum Beispiel haben wir sog. Pulverplättchen auf die Straßenbahnschienen gelegt und wenn eine Bahn darüber fuhr hat es ein wenig geknallt aber es war ganz ungefährlich. Einmal haben wir einen kleinen Bach, der vom Bramfelder See durch die Wiesen floss, mit Steinen und Gras aufgestaut, so dass er über die Ufer trat und die Wiese überschwemmt hat. Aber unser Staudamm hat nicht lange gehalten und alles war nach kurzer Dauer wieder in 0rdnung. Durch unseren Garten ging ein schmaler Graben, der sollte das Wasser der Straße ableiten, der war aber meist ganz trocken und wir haben dann einen alten Geldbeutel an einem Zwirnsfaden auf den Fußweg gelegt und uns im Graben versteckt und wenn sich jemand nach dem Portemonnaie bücken wollte, wurde es schnell weggezogen, ha ha. Beim Kaufladen an der Ecke haben wir eine Schraube mit einem Flaschenverschlussgummi (schönes Wort) befestigt und an einer langen Schnur, mit vielen kleinen Knoten versehen, gezogen und dabei klopfte die Schraube immer gegen die Ladenscheibe. Wenn der Krämer dann herauskam, liefen wir natürlich schnell weg.

Liebe Marie, zwischendurch mal ein paar Zeilen. Gestern und heute scheint hier die Sonne und am Tage ist es schon richtig warm draußen. Wir gehen dann meist eine Stunde spazieren. Wieder zu Haus angekommen ruht Omi sich ein bisschen aus und ich mache das Mittagessen fertig. Am Nachmittag ist dann Schreiben angesagt und es macht uns auch viel Spaß. Bevor etwas aufs Papier gebracht wird, haben wir allerhand zu erzählen. Es ist somit für uns auch eine Reise in die Vergangenheit. Eben hat Dein Vater angerufen, um sich über die Schraube am Band genauer zu informieren. Wir hatten mit dem Trick viel Spaß und oft wurden wir sogar mit sauren Gurken beworfen, um uns zu vertreiben. Die Gurken schmeckten uns, auch wenn sie etwas sandig waren. In den meisten kleinen Lebensmittelgeschäften stand ein großes Gurkenfass und diese waren somit immer griffbereit.

Hilku:

Wir haben eine ganze Menge Streiche gemacht. Das ging los mit "Holzpantinen"-Werfen (Es gab ja kaum noch Schuhe zu kaufen, die Zeiten wurden immer schlechter.). Da kamen die meisten Jungen auf Holzpantinen, die sonst nur bei Drecksarbeiten im Stall oder auf dem Acker getragen wurden. Es gab ja bei den Bauern viel Arbeit. Maschinen gab es noch nicht viel. Kühe mussten also noch mit der Hand gemolken werden und auf den Feldern waren beim Pflügen Pferde vorgespannt. Jedenfalls warfen die Jungen quer durchs Klassenzimmer zu einem Jungen, der sich aber bückte und der Holzschuh flog durch das geschlossene Fenster auf den Hof, auf dem der Direx gerade spazierte. Das “Geschoss" streifte seinen Kopf. Da war vielleicht was los. Da war das tütenweise Maikäferfliegen gar nichts.

Oder es wurde ein Faden etwa 20 cm über dem Fußboden zwischen die Pultreihen gespannt. Wenn dann ein Lehrer eilig zum Pult gehen wollte, kam er in Stolpern. wenn dann die Strafe kommen sollte, fiel auch das wieder ins Wasser. Es gab ja damals noch die Prügelstrafe. Ein Schlag mit dem Rohrstock auf die offene Hand tat ganz schön weh. Aber wenn es Winter war, wurde der Rohrstock vorher hinter den Ofen gestellt und wenn dann damit geschlagen wurde, zersplitterte er.

Aber das Tollste hab ich mir mal geleistet. Wir hatten als Hausaufgabe auf, über den "Schimmelreiter von Theodor Storm" zu schreiben. Dann sollten wir den Aufsatz am nächsten Tag in der Schule in "Reine" schreiben, nämlich in das Aufsatzheft, das immer in der Schule bleibt. Da ich dann doch immer alles ganz anders schreibe als zu Hause, wollte ich mir die Arbeit sparen. Zuerst musste aber der nächste Abschnitt von der Glocke, die stückchenweise auswendig gelernt werden musste, aufgesagt werden.

Das ging immer nach dem gleichen Muster. In der ersten Reihe ging es los, dann kommt der nächste dran usw. Ich saß in der Mitte. Und wenn man mindestens 10mal dasselbe hört, dann kann man das auch. Wir waren übrigens etwas über 46 Kinder in der Klasse. Als ich nun an der Reihe war, stand ich auf und wollte anfangen: das Lied von der Glocke......, da sagte der Direx plötzlich: ach weißt du, das haben wir ja nun oft genug gehört, lies du uns mal deinen Aufsatz vor. Peng, aus, dachte ich.

Aber dann nahm ich das Heft und fing an zu lesen, so aus dem Stegreif. Ab und zu blätterte ich mal eine leere Seite um und erzählte weiter. Die Kinder hinter mir konnten sich das Lachen nicht verkneifen, aber keiner hat mich verraten. Endlich kam ich dann zu Ende und wurde sehr gelobt. Nun hatte ich nur noch Angst, dass alles herauskommt, weil der Direx die Angewohnheit hatte, sein R (er hieß Rollwin) unter das Schriftstück zu setzen. Alles wertete gespannt, was wohl nun kommt. Aber âa klingelte es, die Stunde war um. Da hatte ich wohl ein bisschen zu lange "gelesen". Ist noch zu sagen, dass sich meine ehemaligen Klassenkameraden noch an meinen "Aufsatz" erinnern konnten, als wir uns nach der Wiedervereinigung bei unserem Klassentreffen nach fast 50 Jahren wiedersahen. Wir durften in der alten Schule in unserem alten Klassenraum in Erinnerungen schwelgen.

Herr Rollwin hat übrigens in den letzten Tagen, bevor die Russen einmarschierten, erst seine Familie, dann unsere Musiklehrerin und dann sich selbst erschossen. Sie waren fanatische Nazis und wollten sich Quälereien ersparen.