Als alles fertig war, wurden meine Großeltern sehr häuslich. Mein Opi wurde ein toller Koch und meine Omi backte immerzu Kuchen. Sie macht seitdem auch das Brot selber. Ihre Spezialität ist ihr Haselnussbrot. Außerdem fing sie an zu Stricken, wenn sie gerade nichts anderes tun musste. Sie strickte sogar beim Fernsehen und beim Lesen, oder mein Opa las ihr dabei etwas vor. Sie strickte Pullover und Jacken für die ganze Familie und, wenn jemand ein Kind bekam, strickte sie Teddys und Puppen. Zu meinem ersten Geburtstag habe ich meinen Teddy Kletti von ihr bekommen. Aber trotzdem verreisten sie immer noch viel mit meinem Vater und luden sich Freunde und Verwandte ein und machten mit ihnen Hausmusik und Gesangsabende, also Partys. Das habe ich bestimmt von ihnen geerbt denn ich mag auch sehr gern Parties. Sie sind auch jetzt noch immer ganz viel unterwegs und ziehen durch halb Europa, nach Polen und so und da besuchen sie dann die Leute, die sie vor vierzig Jahren oder so mal kennen gelernt haben. Sie hatten auch mal einen jüngeren Arbeitskollegen von Opi in ihre Familie aufgenommen, weil er keine eigene hatte. Er ist später nach Holland gezogen, mit dem besuchen sie sich auch immer noch gegenseitig.
Als ich meine Oma gefragt hatte, wie mein Vater als Kind war, hat sie gesagt, er war lieb aber nicht immer artig und fleißig war er nur, wenn er zu etwas auch Lust hatte. Zum Beispiel hatte er keine Lust Schwimmen zu lernen. Als er 11 war hatten meine Großeltern ein Schlauchboot und er wollte immer mitfahren. Da haben sie gesagt: „Erst wenn du Schwimmen kannst.“ Da hat er es sofort gelernt, obwohl sie es ihm schon viele Jahre versucht haben beizubringen, sogar in der Schule. Im Jahr davor war in Hamburg eine große Sturmflut, bei der viele Menschen ertrunken sind, sicher auch welche, weil sie nicht Schwimmen konnten, aber nicht mal das konnte ihn dazu bringen. Meine Großeltern haben dazu geschrieben und erzählt, dass in Hamburg damals über 300 Menschen umgekommen sind und Tausende ihre Wohnungen und Häuser verlassen mussten und viele sogar ganz obdachlos wurden. Die Leute wurden in Schulen und Krankenhäusern untergebracht und oft fiel der Strom aus. Viele Leute saßen die ganze Nacht auf Dächern und es war furchtbar kalt. Meine Omi schreibt dazu noch: „Die Hilfsbereitschaft unter den Menschen war groß. Da die Männer früher ihren Lohn am Freitagabend ausgezahlt bekamen (Girokonten für Arbeitnehmer gab es damals noch nicht), gingen die Frauen gewöhnlich sonnabends einkaufen. Das war aber nun in Wilhelmsburg nicht mehr möglich (die Sturmflut fing am Freitag an). Da haben junge Leute aus Brettern und ausgehängten Türen ein Floß gebaut und sind damit zu den Lebensmittelläden gepaddelt um zu holen, was noch brauchbar war und haben es verteilt.“ Das hat ein Arbeitskollege aus Wilhelmsburg erzählt.
Als mein Vater ungefähr so alt war, wie ich jetzt bin, hat mein Opa ihn in den Schulferien öfter mit zur Arbeit genommen. Sie haben dann die ganze Zeit die Lebensmittel zu den Geschäften gebracht. Mein Opa konnte abends und übers Wochenende das Firmenauto mit nach Hause nehmen, so dass sie immer überall hinkonnten. Ihr erstes eigenes Auto haben sich meine Großeltern erst 1969 gekauft. Da konnten sie auch mit dem Auto zum Zelten fahren. Mein Vater sagt dass seine Eltern nie streng zu ihm waren. Er durfte machen und anziehen, was er wollte, und, als er etwas älter war, durfte er auch ins Bett gehen, wann er wollte. Sie haben ihm auch immer erlaubt, viele Freunde mit nach Hause zu bringen und als er Besuch von Franzosen, die er im Urlaub kennengelernt hatte bekam, haben sie die auch gleich bei sich wohnen lassen. Aber das haben sie ja mit ihren eigenen Urlaubsfreunden auch immer so gemacht. Als mein Vater ein Teenager war, wollten alle Jugendlichen lange Haare haben wie ihre Popstars. Aber die meisten durften es nicht, weil die Erwachsenen es zu wild fanden. Aber meine Großtante Anneliese soll Papas geliebte Beatlesmusik auch Negermusik genannt haben. Mein Vater durfte natürlich alles hören, was er wollte, und auch lange Haare haben. Als mein Vater siebzehn war, hatte er keine Lust mehr mit seinen Eltern zu verreisen. Er ist lieber mit Freunden nach Bratislava gefahren. In dem Jahr haben meine Großeltern sich ihre erste Flugreise geleistet. Sie konnten jetzt auch immer in Urlaub fahren, wann sie wollten und mussten sich nicht mehr nach den Schulferien richten.
Als mein Vater 19 Jahre alt war, wollte er bei meinen Großeltern ausziehen. Sie erlaubten es ihm zwar, taten aber irgendwie nichts um ihm zu helfen. Damals war man erst mit 21 volljährig. Mein Vater zog dann aber doch noch nicht aus. Zu seinem Auszug später schreibt meine Omi: „Als Ene 25 Jahre alt war, zog er dann endgültig bei uns aus und in eine kleine Wohnung ein. Wir halfen noch beim Einrichten und fanden es richtig, denn junge Leute sollen nicht zu lange zu Hause rumhängen und sich von Mutter bedienen lassen. Uns passte es auch deshalb gut, weil wir Freunde aus Polen erwarteten, da hatten wir nun ein schönes Gästezimmer.“ So lebten sie nun lange glücklich und in Frieden und mein Vater besuchte sie öfter mit seiner neuen Freundin, die er kurz nach dem Umzug kennengelernt hatte.
♥ Omi und Opi ♥
Mein Vater und seine Freundin waren schon fast vierzig, als endlich das passierte, worauf schon keiner mehr gehofft und gewartet hatte, meine Eltern bekamen ein Kind. Jetzt konnten Frau und Herr Bangis endlich das werden, was sie ohne mich nie geschafft hätten: G r o ß e l t e r n ! Herzlichen Glückwunsch!!!
Am 14.6.1991 wurde im Krankenhaus Elim in Eimsbüttel ihre Enkeltochter Marie Alena geboren. Auf dem Bild kann man die Schnur vom Atemmonitor sehen. Zufällig habe ich in den ersten Tagen viel gespuckt und musste deshalb ins Altonaer Kinderkrankenhaus an den Monitor. Wenn das nicht passiert wäre, hätte keiner gemerkt, dass ich in der vierten Nacht aufgehört hatte zu atmen und meine Großeltern wären doch keine geworden. Weil das Atmen noch ziemlich oft aufhörte brauchte ich den Monitor noch bis zu meinem dritten Geburtstag.
Leider kann ich mich in Wirklichkeit nicht an die erste Zeit mit meinen Großeltern (und auch sonst) nicht erinnern. Aber wenn ich die Bilder sehe oder höre, was wir alles erlebt haben, kommt es mit immer so vor, als wenn ich es könnte. Denn natürlich erinnere ich mich noch deutlich an die alte Wohnung von Omi und Opi, denn als sie wegzogen, war ich schon fünf und bis dahin sah noch alles genauso aus, wie auf den ersten Bildern. Weil ich zuerst noch diesed Problem mit dem Atmen hatte, haben meine Eltern mich niemals jemand anderem anvertraut. Die einzige Ausnahme waren meine Großeltern. Da wussten meine Eltern, dass sie mich genauso lieb haben wie sie selber. Als meine Großeltern noch in Hamburg wohnten, haben wir sie fast jedes Wochenende besucht oder meine Eltern haben mich sonnabends oder sonntags bei ihnen abgegeben, wenn sie mal etwas alleine machen wollten oder mussten. Glücklicherweise haben meine Großeltern immer viele Fotos gemacht, wie man ja auch sonst im ganzen Großelternbuch sehen kann.