Mein lieber mein Vater

TK 10

Krieg

Hilku:

Wir hatten uns eigentlich nie um Politik gekümmert, wir hatten mit uns selber zu tun. Meine Eltern hatten sich inzwischen ein Haus gebaut, in das wir am 1. Oktober 1938 einzogen. Weil er dafür alle Geldreserven brauchte, hat er auch sein Motorrad verkauft. Das war gut, denn nun wurden alle Fahrzeuge registriert und im Bedarfsfall für die Wehrmacht beschlagnahmt. Sonst war alles friedlich, die Arbeitslosigkeit wurde abgebaut, die ersten Autobahnen wurden gebaut (die A 1 von Hamburg nach Lübeck und die A 2 von Berlin nach Dortmund).

Hitler, der ja eigentlich Österreicher war, holte das Land "heim ins Reich". Die Sprache war sowieso die gleiche und vielen Österreichern war das sogar ganz lieb.

Aber damit nicht genug, musste nun das Sudetenland dran glauben, was den Tschechen aber gar nicht passte.

Als Hitler dann die Gebiete Ost- und Westpreußen, die wir im ersten Weltkrieg verloren hatten, zurückerobern wollte, war das Maß voll. Die Polen wollten nicht. Dann hieß es plötzlich: ab 5.50 Uhr wird zurückgeschossen. Ob überhaupt her geschossen wurde, ist nicht ganz klar. Nach nur 18 Tagen war Polen besiegt. Das wiederum passte den Westalliierten nicht und England, Frankreich und später auch Amerika erklärten uns den Krieg. Dann ging es richtig los. Die deutschen Truppen marschierten durch Holland und Belgien, die ja neutral waren, nach Frankreich ein. Plötzlich war überall Krieg. Ich war damals 11 ½ Jahre alt, daher weiß ich alles nicht mehr so genau.

Dann fielen die Bomben auch bei uns. Wir hatten immer Angst. Erst kamen die feindlichen Bomber nur in der Nacht, dann auch am Tage. Wir haben sehr viel Zeit im Luftschutzkeller verbracht. In der Schule mussten jede Nacht 2 Kinder Wache halten wegen der Brandbomben. Dafür durfte man dann am nächsten Tag ausschlafen.

Am 4. Februar 1945 wurde ich 17 Jahre alt und am 7. Februar wurde ich eingezogen, und zwar kamen wir in eine Kaserne in Stahnsdorf, um das Funken zu lernen. Auf dem Hinweg war in Potsdam noch alles in Ordnung. Das Funken machte uns Mädchen Spaß, wir sollten ja durch unseren Einsatz einen Soldaten ersetzen, der dafür an die Front kam.

Die Situation wurde immer ernster, die Russen drangen immer weiter auf Berlin zu. Eines Tages sagte unser Major dann zu uns: wer noch nach Hause kann sollte gehen, alle anderen sollten versetzt werden an einen anderen Frontabschnitt. Eine Kameradin von mir (Gisela Marquardt) war in Stettin zu Hause. Aber da konnte sie nicht mehr hin, da waren schon die Russen. Ich bot ihr an, mit mir nach Potsdam zu kommen. Wir bekamen unsere Entlassungspapiere, packten unsere Sachen und es ging heimwärts, immer zu Fuß. Dann kam ein Lastwagen-Konvoi vorbei, immer ein Militärfahrzeug am anderen, wie ein Zug, um Benzin zu sparen. Ein Soldat fragte uns, wohin wir wollten und ob wir ein Stück mitfahren wollten. Der Konvoi fuhr nach Oranienburg und musste durch Potsdam. Da nahmen wir das Angebot gerne an. Es war eine ganz lustige Fahrt. Die Landser hatten unterwegs in den verlassenen Dörfern noch allerhand gefunden, so u.a. auch eingeweckte Kirschen und Schnaps. wir waren von den Kirschen und dem mit Schnaps veredelten Kirschsaft ganz schön lustig. Es wurde viel gelacht. Wir lebten und das war das wichtigste.

Als wir dann aber durch Potsdam fuhren, konnte ich nur noch heulen. Als ich von Potsdam weg ging, war alles noch in Ordnung. Potsdam war nie angegriffen worden. Und nun lag die halbe Stadt in Trümmern, zerbombt in einer einzigen Nacht. Wir stiegen am Stadtrand aus und wurden mitsamt unserem Gepäck von einem Pferdekutscher, der denselben Weg hatte, mitgenommen bis vor die Tür meines Elternhauses. Dort begegnete uns als erster mein Vater, der auch ein paar Tage vorher ankam.

Meine Maschine hat mal wieder gestreikt. Sie ist nicht gewöhnt, so viel zu schreiben.

Nun war ich wieder zu Hause. Erst einmal waschen, man fühlte sich ja ziemlich schmutzig. Dann wollte ich meine Kleidung aufbügeln (bügelfreie Stoffe gab es damals ja noch nicht). Aber das ging nicht, es gab keinen Strom. Von März bis September mussten wir ohne Strom auskommen. Aber das war damals nicht ganz so schlimm. Kühlschränke und elektrische Küchengeräte gab es noch nicht, auch keine Waschmaschinen. Und in der Küche hatten wir noch einen Kohleherd, auch in den Zimmern gab es die gemütlichen Kachelöfen. Und wenn man baden wollt, musste der Badeofen angeheizt werden, der das warme Wasser lieferte und das Badezimmer gleichzeitig gemütlich warm machte. Und das Radio (die Goebbels-Harfe), vermisste sowieso keiner.