Mein lieber mein Vater

Arbeitsdienst

Ich selbst wurde im Januar 1943 zum Arbeitsdienst eingezogen und es ging nach dem Treffen am Hauptbahnhof mit unseren Persilkartons nach Polen, nach Nakel an der Netze, 3o KM vor Bromberg. Dort war ein großes Baracken-Lager und wir bekamen unsere Klamotten und die Zivilsachen wurden per Persilkartons nach Hause geschickt. Es war sehr kalt und es lag hoher Schnee, wir mussten exerzieren und Spatengriffe kloppen und oft die Handschuhe ausziehen und Liegestütze im Schnee machen und wurden ganz schön geschliffen, fern der Heimat und immer hungrig. Dort wurden wir 6 Wochen ausgebildet und auch am Gewehr 98 K Unterrichtet, aber es gab nur in jeder Gruppe einen Karabiner zur Demonstration, und wir lernten all die schönen Sprüche auswendig, wie: das Gewehr zerfällt in 7 Hauptteile, Schaft, Schloss, Lauf, Visiereinrichtung, Beschläge, Trageriemen und ???, weiter: die Visierlinie ist die auf den Haltepunkt zeigende Linie vom Auge des Schützen, über Kimme und Korn auf den Haltepunkt zeigt oder auch die folgende Weisheit: Der Schütze liegt in sich gerade etwas schräge zum Ziel, oder zielen heißt: Das Gewehr nach Höhe und Seite so einrichten, dass die Visierlinie auf den Haltepunkt zeigt. Bei all diesen Sprüchen konnte sich kein Mensch etwas Richtiges vorstellen und wenn wir das gut nachbeten konnten war alles gut.

Einige Male durften wir auf dem Schießstand auch richtig schießen und das war für uns natürlich schon besser, denn das machte ja wenigstens etwas Spaß, wenn auch das Warten, bis man zum Schuss kam, die längste Zeit in Anspruch nahm. Nach den sechs Wochen der Ausbildung gings per Bahn nach langer Fahrt bis nach Frankreich, nach Rue an der Somme, dicht bei Abbeville, ca. 10 KM von der Atlantik-Küste entfernt. Dort wurden wir erstmal in einem kleinen Stadtschloss, das in einem Park in der kleinen Ortschaft leer stand, untergebracht. ln sog. Luftschutzbetten, 3 Pritschen übereinander und Strohsäcke und Wolldecken. Im Park wurden dann Baracken gebaut, in die wir bald umziehen mussten. Von dort ging es jeden Tag zum Strand um dort mit Spaten und Schaufel die Schussfelder für einige leere Betonbunker zu schaffen und in den Dünen Strandhafer zu pflanzen, damit der Wind unser mühsam Geschaffenes nicht gleich wieder verwehte. Nachmittags gings dann auf den Sportplatz zum Exerzieren und immer mit Gesang durch den Ort. Hier in Feindesland hatten wir nun jeder einen Karabiner und Patronentaschen mit scharfer Munition, es konnte ja jeden Tag etwas geschehen und dann sollten wir den Atlantikwall verteidigen. Dort gab es nur einen Stacheldraht der schon halb im Sande verschwunden war und die leeren Bunker und auf viele Kilometer Küste noch ein paar richtige Soldaten, von denen wir aber kaum etwas zu sehen bekamen. Etwas zurückliegend gab es noch eine alte Batterie-(Kanonen-)Stellung, die zwar über keine Geschütze verfügte, aber prima Verpflegung bekam, was bei uns leider nicht der Fall war. So konnten wir manchmal dort etwas kaufen, unser Sold war pro Tag 1,25 und es gab alle 10Tage 12 Mark 50 Pf. Dieses Geld gab es in Franc ausgezahlt und wurde meist am selben Abend in der nächsten Kneipe und den anderen Läden umgesetzt. Dann hatte man wieder 10 Tage Ruhe und Hunger, denn wir bekamen recht schlechtes Essen. Was auch kein Wunder war, der Koch war ehemaliger Bauarbeiter.

Wir einfachen "Soldaten mit dem Spaten" nannten uns Arbeitsmann und unsere Führer waren Trupp- und Zugführer und hatten absolute Gewalt über uns Pimpfe. Wir wurden fürchterlich geschliffen und hatten oft den Wunsch unsere Vorgesetzten umzubringen. Wir hatten überhaupt keine Freizeit und sogar nachts wurden wir oft aus den Betten gescheucht und mussten die unmöglichsten Sachen machen, z. B. Kippen beerdigen, d. h. wenn nach dem Revier-Reinigen irgendwo noch eine Kippe gefunden wurde, mussten wir nachts feldmarschmäßig antreten und dann die gefundene Kippe in einer Zeltbahn aus dem Lager tragen und irgendwo nach einem halbstündigen Marsch beerdigen und dann zurück zur Unterkunft und wieder in die Betten. Zum Zapfenstreich um 22 Uhr musste alles in den Betten sein und der Stubendienst musste nach Säuberung der Bude diese beim Truppführer vom Dienst, der alle Stuben nacheinander abnehmen musste, abmelden. Vorher noch schnell den Abfalleimer nach draußen bringen und dann haben wir Schläfer schnell eine Wasserschüssel auf die angelehnte Tür, natürlich voll mit Wasser, gestellt, um dem Kameraden, der den Stubendienst hatte, eins auszuwischen. Aber es kam schon der Truppführer zur Stubenabnahme herein und hatte im selben Moment die volle Schüssel auf dem Kopf und stand wie ein begossener Pudel vor uns, aber nicht lange, dann ging sein Gebrüll los und wir mussten die halbe Nacht draußen herum marschieren und das feldmarschmäßig und auch mal mit der Gasmaske aufgesetzt, was die Sache natürlich sehr erschwerte, da man nicht so gut Luft bekam. Aber wir waren alle jung, so um 18 Jahre alt und es hat uns alles nicht viel ausgemacht. Ich denke aber, dass wir auch viel Spaß am Ärgern von Vorgesetzten und auch Kameraden gehabt haben und eigentlich das ganze Leben als Abenteuer angesehen haben. Der Arbeitsdienst war hauptsächlich als vormilitärische Ausbildung gedacht und sollte ein halbes Jahr dauern. lm besetzten Frankreich waren wir gleichzeitig eine Art Besatzungstruppe, die aber von der Bevölkerung nicht sonderlich ernstgenommen wurde und wir hatten manchmal das Gefühl, mehr Mitleid als Respekt zu erregen und wir wurden in den Geschäften und Gaststätten immer recht freundlich behandelt und haben uns auch selbst immer recht gesittet benommen, so selten wie wir auch nur ausgehen durften.